Die Geisterhand im Schwimmbad

Richtig gemütlich ist es hier im Moment nicht. Zuerst passiert man eine Strassensperre, an der schwerbewaffnete Polizisten Autokofferräume inspizieren, dann die US-amerikanische Botschaft, um die zu zweit Soldaten patrouillieren und schliesslich steht man dort, wo man die Anlage mit dem Namen «Kunsteisbahn und Wellenbad Dählhölzli» zu finden hoffte, vor einer grossen Baustelle. Trotzdem: Die «Ka-We-De» ist weit über Bern hinaus legendär. Hier hat der neue Schweizer Meister im Eishockey, der SC Bern, zwischen 1933 und 1966 seine Heimspiele ausgetragen; und hier geniesst man bis heute im Sommer das Wellenbad oder die sechzig Meter lange Wasserrutschbahn ins riesige Planschbecken, das jeden Herbst wie von Geisterhand in eine Kunsteisbahn verwandelt wird.

Kieselgur und Salzsäure

Geisterhände hat Thierry Schüpbach freilich keine. Jetzt gleiten sie im Wasseraufbereitungsraum unter dem Restaurant der Ka We De über das Anlageschema des Schaltpults. Er zeigt, wie das Wasser des Schwimmbads durch Filter und Ausgleichsbecken ins Planschbecken geleitet und der Spiegel so abgesenkt wird, dass das Schwimmbad als Wellenbad genutzt werden kann. Weiter hinten im Raum erklärt er die drei riesigen Metallzylinder, die mit mächtigen Rohrleitungen verbunden sind. Das sind die drei Filter, von denen zwei das hindurchgeleitete Wasser mit Sand, der dritte mit Kieselgur – weisslichem pulvrigem Kieselmehl – säubern.

Zurzeit allerdings sind die Wasserleitungen und die Bassins draussen leer. Die Umrüstung der Anlage vom Winterbetrieb auf den Sommerbetrieb eilt in diesem Jahr nicht, weil im Moment grosse Umbauarbeiten im Gang sind: Die Kühlanlage der Kunsteisbahn auf der Basis von Ammoniakverdampfung wird durch eine CO2-Kühlung ersetzt. Das Bad wird deshalb erst am 29. Mai eröffnet.

Inzeischen stehen wir vor zwei kleinen Nebenräumen. Im einen kann in Flaschen gelagertes Chlorgas ins Badewasser abgegeben werden, im andern aus einem grossen Tank Salzsäure. Beides dient dazu, das Säure-Base-Verhältnis des Badewassers im Gleichgewicht zu halten. Eine nicht ungefährliche Arbeit ist das Auswechseln der Chlorgasflaschen: Schon kleine Mengen des Gases verätzen Schleimhäute, Atemwege und Lungenbläschen und sind deshalb lebensgefährlich. In diesem Raum arbeiten die Bademeister deshalb mit Gasmasken.

Aufsicht ist Arbeit

Wenn die Wintersaison abgeschlossen ist, die Kühlmaschinen abgestellt sind und unter dem wegtauenden Eis langsam wieder der Boden des Planschbeckens erscheint, beginnen die Bademeister mit dem Abbau und der Reparatur der Banden, der Netze und der mit Schlittschuhen begehbaren Gummimatten. Es folgen unspektakuläre Arbeiten: die im Winter eingezäunten Rasenflächen freilegen, Bänke setzen, Liegestühle säubern, Terrassen putzen, Garderoben, Kästen und Tageskabinen reinigen. Der Boden des  Beckens wird mit Druckwasser abgespritzt und gegen die Algenbildung behandelt. Die Eingänge zum Eisfeld müssen mit Betonelementen und Kitt wasserdicht verschlossen werden. Die Filter und die während der Wintermonate revidierten Chlor- und Salzsäuremessgeräte werden neu installiert. Erst eine Woche vor Saisonbeginn fliesst Wasser in die Becken.

Während der Badesaison öffnet die «Ka We De» jeweils um neun Uhr. Die Bademeister beginnen um 6.45 Uhr zu arbeiten und die Zeit vor der Öffnung sei, sagt Schüpbach, «die strengste»: Vieles muss gereinigt werden, an den Wasserproben sind die Messungen vorzunehmen, Liegestühle und Sonnenschirme sind aufzustellen und die Blumen zu giessen. Um neun Uhr muss alles fertig sein, denn dann beginnt die Aufsicht des Bademeister am Beckenrand. Lakonisch sagt Schüpbach: «Aufsicht ist Arbeit. Es würde sich nicht sehr gut machen, wenn vor meinen Augen jemand ertrinken würde, weil ich herumträume.»

Freilich gehe es nicht darum, mit der Trillerpfeife im Mund den Polizisten zu spielen und so zum Gespött der Halbwüchsigen zu werden. Er ziehe es vor zu beobachten und erst einzuschreiten, wenn es für die einzelnen Leute selber oder für andere Badegäste gefährlich werde. Dann aber gehe er hin und rede deutlich: «Es kommt vor, dass man den Bösen markieren muss. Aber ich bin schliesslich der, der mit einem Fuss im Knast steht, wenn etwas passiert und man mir eine Aufsichtspflichtverletzung nachweist.» Bisher hat Schüpbach als Bademeister noch nie einen lebensgefährlichen Unfall miterlebt: «Zum Glück nicht und ich hoffe, ich erlebe es nie.»

 

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Saubere Büez oder gar keine

Ursprünglich hat der heute 33jährige Thierry Schüpbach in Köniz Spengler und Sanitär gelernt und zwei Jahre auf diesem Beruf gearbeitet. Trotz der Krise im Baugewerbe habe die Firma zwar immer genügend Arbeit gehabt, «aber es hat bald einmal keinen Spass mehr gemacht». Man hätte schon fertig sein sollen, bevor man auf der Baustelle eingetroffen sei. Er habe nicht mehr zu seiner Arbeit stehen können: «Entweder mache ich etwas sauber oder ich lasse es bleiben.»

Schüpbach macht 1991 das Brevet I-Rettungsschwimmen der Schweizerischen Lebensrettungsgesellschaft und arbeitet anschliessend fünf Jahre lang als Bademeister in Berns grösstem Freibad, dem «Marzili». 1996 übernimmt er als Hauswart die Betreuung der Turnhallen und Aussenplätze der Sportanlage Schwellenmätteli. «Dort arbeitete ich allein und habe sehr viel gelernt.» Neben den Abwartsarbeiten war er für das Budget verantwortlich, und er verhandelte mit Vereinen, Schulen und Privaten über die Belegung der Anlage.

Seit August 2003 arbeitet er nun als Bademeister und Betriebsleiter-Stellvertreter zu 100 Prozent in der Ka We De Bern. Er ist Mitglied des VPOD, des Personalverbands der Stadt Bern und des Schweizerischen Badmeisterverbands und verdient zwischen 5500 und 6000 Franken brutto.

In der Druckversion wurde mein hier präsentierter Titel zu «Meister Proper am Pool» verkürzt.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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