Kämpfen wie auf dem Bau

Auf dem linken Bein der weissen Arbeitshose trägt Alushi Baki den roten Schriftzug «wernli maler» und auf der Mütze den Slogan der GBI-Kampagne «40 Jahre sind genug!» Zurzeit arbeitet er in einem Neubau an der Birchstrasse in Zürich Nord. Auf bis zu drei Baustellen gleichzeitig ist er als Teamleiter verantwortlich für die Arbeitskoordination und -organisation, für das Einhalten der Termine und für die Materialbestellung.

Hier hat er in den letzten Tagen manchmal mit einem, manchmal mit zwei Kollegen gearbeitet: «Wir müssen immer dort sein, wo es von den Terminen her am nötigsten ist. Manchmal bin ich an einem Tag auf drei oder gar vier Baustellen.» Stress? «Nein. Ich mache das, was ich machen kann.»

Das Arbeitstempo sei sowieso nicht immer gleich: «Entweder wir malen, oder wir malen sauber, oder wir machen eine Doktorarbeit.» Man könne immer so exakt arbeiten, wie es der vereinbarte Preis für die Arbeit zulasse. Dort, wo perfekte Arbeit bezahlt werde, müsse sie auch perfekt gemacht werden – er erwähnt Eigentumswohnungen, in denen er gearbeitet hat, die pro Einheit für 1,7 Millionen Franken verkauft werden sollen. «Wir arbeiten aber auch in Neubauten mit Mietwohnungen, die einfach weiss gestrichen werden müssen.»

Die Augen, die Haut, die Lunge

Alushi Baki hat hier in Zürich verschiedene Malergeschäfte kennengelernt. Er arbeitet gern für die Wernli Designer AG: «Vorarbeiter, gelernte Maler und Maler bilden hier ein Team. Und der Chef schätzt seine Leute.» Trotzdem wird 2004 ein schwieriges Jahr. Denn auch Baki unterstützt die nun anlaufende GBI-Kampagne für die Frühpensionierung im Maler- und Gipsergewerbe. Im letzten Mai hat der Schweizerische Maler- und Gipserunternehmerverband in der Deutschschweiz und im Tessin die Verhandlungen mit den Gewerkschaften abgebrochen – obschon die Einführung des «frühzeitigen Altersrücktritts» im geltenden Gesamtarbeitsvertrag (GAV) verankert ist und die Arbeitnehmenden mit ihrem Reallohnverzicht laufend zu seiner Vorfinanzierung beitragen. Am 31. März läuft der GAV aus. Am 21. Februar diskutieren die Maler und Gipser an einer grossen, offenen Berufskonferenz über seine Kündigung.

«Man sagt: Die anderen Berufe auf dem Bau sind schwer. Aber die Maler mit den kleinen Pinseln, das sei doch kein Problem», sagt Alushi Baki. Vor allem die Augen, die Haut und die Atemwege seien bei der Malerarbeit gefährdet: «Nehmen wir das Spritzen. Klar schützen wir uns mit Masken. Aber die Augen kannst du nicht schützen. Brillen werden vom Farbstaub sofort verklebt, dann siehst du nichts mehr.»

Oder die Haut: Baki weist auf die rötlichen Verfärbungen um seine Augen und an der Stirn: «Das sind allergische Reaktionen auf die giftigen Dämpfe.» Und weil man nicht immer mit Handschuhen arbeiten könne, habe man auch die Hände häufig voller Zweikomponentenfarbe der Giftklasse 2. Zwar sollte man jeden Hautkontakt mit Nitroverdünner vermeiden, aber solche Farbe kriegt man nur damit weg: «Nitro macht aber nicht nur die Haut kaputt, Nitro geht durch die Haut ins Blut.» Und was die Lungen betreffe, habe er letzthin seinen Hausarzt gefragt, wie schädlich für ihn das Rauchen sei. Der Arzt habe gesagt: Im Vergleich zur Belastung am Arbeitsplatz mache das Rauchen etwa fünf Prozent aus.

Kommt es zum Streik?

Wird im Februar der GAV gekündigt und kann im März auch mit einem nationalen Aktionstag und einer Demonstration nichts bewegt werden, dann kommt es im April vermutlich zum Streik. Alushi Baki sagt: «Es gibt ältere Leute, die Angst haben zu streiken, weil sie Angst haben, die Arbeit zu verlieren und nichts mehr zu finden. Aber wer sich sicher fühlt, wird streiken.»

Als Mitglied der albanischen Sprachgruppe der GBI Zürich gibt es für ihn in den nächsten Monaten eine neue Aufgabe. Grundsätzlich kümmert sich diese Gruppe darum, die Landsleute über das schweizerische Arbeitssystem und die Sozialversicherungen zu informieren. Aber bei den Malern und Gipsern geht es jetzt um die Frühpensionierung. Bereits zirkuliert auf den Baustellen ein in verschiedenen Sprachen abgefasstes GBI-Flugblatt mit dem Titel: «Jetzt müssen wir kämpfen wie die Bauarbeiter!» Jeder, der es genauer wissen will, kann Alushi Baki fragen: Er spricht nicht nur sehr gut deutsch, sondern neben seiner Muttersprache Albanisch auch Mazedonisch, Serbisch und Italienisch.

 

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Alushi Baki

Der Malermeister von Strugë

Im Frühling 1990 kam der heute 38jährige Alushi Baki als Saisonnier nach Zürich, seit 1994 verfügt er über die Jahresaufenthaltsbewilligung B. Sechs Jahre arbeitete er für das Malergeschäft Hugo Corti & Sohn, dann wurde dort im November 1996 der ganzen Belegschaft gekündigt. Er nahm verschiedene Temporärjobs an, unter anderem bei der Wernli Designer AG in Urdorf. Dort wurde er Anfang August 1997 fest angestellt und später zum Teamleiter (Vorarbeiter) befördert.

Aufgewachsen ist er als Albaner in der südmazedonischen Stadt Strugë. Zwischen 1980 und 1982 machte er dort eine Malerlehre. Anschliessend arbeitete er bis 1987 in Slowenien. Dazwischen machte er in der damaligen jugoslawischen Armee 15 Monate Militärdienst. 1987 kehrte er nach Strugë zurück, heiratete und machte eine eigene Firma mit sieben Arbeitern auf: «Das war eine gute Zeit. Besser habe ich in meinem ganzen Leben nie verdient.»

1989 verschärfte sich die politische Situation: Die massgeblichen Leute setzten ihn unter Druck, ihm nur noch dann Aufträge zu geben, wenn er gegen seine albanischen Landsleute auftrete. Im Herbst 1989 machte er deshalb seine Firma zu und suchte erneut im Ausland Arbeit.

Er lebt in Zürich, seit 1996 wieder zusammen mit seiner Frau und seinen vier Töchtern. Er verdient rund 6000 Franken brutto im Monat. Er ist Mitglied der GBI und Präsident des Humanitären Vereins «Strugë» mit Hauptsitz in Langenthal.

Ich hatte als Titel vorgeschlagen: «Ab und zu eine Doktorarbeit».

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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