Chropfläärete

So weit sei es jetzt also schon, poltert ein Mann, der von sich sagt, er sei 80 und Bauer, im Saal der Thomaskirche in Liebefeld, so weit, dass man hochdeutsch reden müsse wegen diesen Ausländern. Zur Diskussion über «Sans-Papiers» eingeladen hat die Könizer Kirchgemeinde. Grund: Zwischen dem 9. März und dem 1. April hat sie die Besetzung des Schlossgebäudes durch Sans-Papiers und ihre UnterstützerInnen geduldet.

Jetzt, am Abend des 2. Mai, sind die Sans-Papiers wieder untergetaucht, und in Köniz haben sich die Wogen geglättet. Kaum dreissig Gemeindemitglieder – die wenigsten unter fünfzig – sind zu dieser «Chropfläärete» gekommen, wie es auf der Einladung geheissen hat. Schnell wurde klar, dass die meisten weniger ihre Meinung sagen als vielmehr Fragen stellen wollen. Um Antworten bemühen sich: Simon Schumacher für die Unterstützungsbewegung der Papierlosen, der albanische Papierlose Arben Atassai, Christoph Müller vom Bundesamt für Ausländerfragen und Benz Schär, Leiter der Fachstelle Migration der Reformierten Kirchen Bern-Jura. Kompetent haben sie erklärt, wer als Sans-papiers gilt, wie Papierlose leben, was sie wollen, was die Bundesbehörden tun und was die Kirche fordert (siehe Kasten).

Der Abend zeigte: Die Sans-Papiers sind nur das eine Problem. Das andere ist, dass die eigene Einstellung von den persönlichen Erfahrungen geprägt wird: Wer schon mit Sans-Papiers zu tun hatte, argumentiert wohlwollender als jene, die nur fremdenfeindliche Propaganda kennen. Der achtzigjährige Bauer übrigens hat im Laufe des Abends immer interessierter zugehört, und als er später noch einmal das Wort ergriff, redete er ganz selbstverständlich hochdeutsch.

 

[Kasten]

Die Kriterien der Kirche

Zurzeit gibt es in der Schweiz drei Ansätze zur Regularisierung der Sans-Papiers: Auf der einen Seite praktizieren die Kantons- und Bundesbehörden eine Einzelfalllösung, bei der in einem komplizierten dreistufigen Verfahren jedes Dossier daraufhin überprüft wird, ob ein «Härtefall» vorliegt.

Auf der anderen Seite fordert die Sans-Papiers-Bewegung die «kollektive Regularisierung aller Papierlosen» – eine Lösung die das Eidgenössische Parlament bereits in der Wintersession verworfen hat.

Einen Mittelweg schlägt der Schweizerische Kirchenbund vor: Sans-Papiers sollen weder einzeln noch kollektiv regularisiert werden, sondern «aufgrund gruppenbezogener Kriterien».

Konkret heisst das, dass Sans-Papiers dann in der Schweiz bleiben dürfen, wenn sie sich erstens seit vier Jahren in der Schweiz aufhalten; wenn sie zweitens keine Vorstrafen haben (wobei Verstösse gegen fremdenpolizeiliche Regelungen nicht angerechnet werden) und wenn sie drittens zu einer der folgenden Gruppen gehören: Ehemalige Saisonniers und deren Familienangehörige, SchwarzarbeiterInnen, Gewaltbetroffene, geschiedene oder verwitwete Ehegatten und Personen, deren Rückkehrversuch in ihre Heimat gescheitert ist. Abgewiesene AsylbewerberInnen sollen dann regularisiert werden, wenn sie einer der dieser Gruppen zugerechnet werden können.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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