Urs Mannharts Roman ist wieder im Verkauf

Der Roman «Bergsteigen im Flachland» von Urs Mannhart verletzt die Urheberrechte an den Reportagen des österreichischen Journalisten Thomas E. Brunnsteiner nicht. Der gestrige Vergleich des Handelsgerichts des Kantons Zürich rehabilitiert Mannhart vollständig. Brunnsteiner verpflichtet sich, dem Autor und dem Secession Verlag 20'000 Franken Schadenersatz zu bezahlen, weil der Roman seit dem 18. September 2014 – eine vorsorgliche Massnahme des Gerichts – nicht mehr hatte verkauft werden dürfen. Ab sofort ist das Buch wieder im Verkauf, und wer’s noch nicht gelesen hat, sollte es jetzt kaufen. Journal B bleibt dabei: Es ist Mannharts bisher bestes Buch.

Für den Autor und seinen Roman entscheidend ist der Punkt 4 des Vergleichstexts: «Der Kläger [Brunnsteiner, fl.] anerkennt, dass der Roman ‘Bergsteigen im Flachland’ des Beklagten 2 [Mannhart, fl.] in erlaubter Weise Bezug nimmt auf seinen Reportagenband ‘Bis ins Eismeer’ und seine Urheberrechte nicht verletzt.»

Willi Egloff, Rechtsanwalt und Urheberrechtsspezialist, hat – zusammen mit der Fürsprecherin Sandra Künzi – den Autor und seinen Verlag in diesem Handel vertreten. Im Interview äussert sich Egloff, der auch im Vorstand von Journal B ist, zu den Verhandlungen.

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Journal B: Angesagt war vor dem Zürcher Handelsgericht eine nicht öffentliche Instruktionsverhandlung. Was heisst das?

Willi Egloff: Diese Verhandlung war der Versuch, zu einer Lösung ohne Urteil zu kommen. Wäre sie ergebnislos geblieben, hätte später eine Hauptverhandlung stattgefunden.

Wer nahm daran teil?

Alle, Brunnsteiner war extra aus Finnland angereist. Und das dreiköpfige Gericht bestand aus dem ständigen Richter, einem nebenamtlicher Fachrichter, der ansonsten als Chefjurist an der Hochschule der Künste in Zürich arbeitet, dazu die Gerichtsschreiberin, die zurzeit an einer Dissertation über Urheberrecht sitzt. Da war viel Sachkompetenz versammelt.

Wie stellt man sich den Ablauf der Verhandlung vor?

Die beiden Richter und die Gerichtsschreiberin beurteilten nacheinander die Prozessaussichten des Klägers und der Beklagten – also Mannharts und des Secession Verlags. Sie bezogen sich dabei vor allem auf die Textstellen, welche Brunnsteiner in der Klageschrift als angebliche Plagiate genannt hatte. Der Vorsitzende ging ungefähr zwanzig der Textstellen durch und endete jedes Mal im Refrain, das sei keine Urheberrechtsverletzung. Danach sagte er zusammenfassend, von den insgesamt 114 Textstellen gebe es eine oder zwei, über die man diskutieren könnte. Aber in 98 bis 99 Prozent der Fälle liege ganz offensichtlich keine Urheberrechtsverletzung vor. Die anschliessenden Stellungnahmen des Fachrichters und der Gerichtsschreiberin zeigten, dass sich alle drei weitestgehend einig waren.

Damit hatte Brunnsteiners Klage keine Chance mehr.

Genau. – Die Parteien wurden dann in eine Pause geschickt, um sich besprechen zu können. Danach fragte der Richter, ob sie bereit seien, einen Vergleich abzuschliessen. Beide Parteien waren damit einverstanden. Brunnsteiner zog seine Klage zurück, wir unsere Widerklage auf 50'000 Franken Schadenersatz. Allerdings stellten wir klar, dass wegen des tatsächlich entstandenen Schadens unter 20'000 Franken kein Vergleich möglich sei.

Nun hat Mannhart aber tatsächlich mit Aca Mandic den Namen eines existierenden Menschen aus einer Brunnsteiner-Reportage abgekupfert.

Das hat nichts mit Plagiat zu tun. Brunnsteiner hat kein Monopol auf diesen Namen oder auf die Beschreibung dieser Person. Und wenn Mannhart Aca Mandic mit einer grossenteils fiktiven Biografie versehen hat, hat er das Gleiche getan wie Lukas Hartmann, in dessen Romanen immer wieder historische Figuren entlang eines grob recherchierten Rasters ein fiktives Eigenleben führen. Das muss möglich sein: Hartmann schreibt ja – wie Mannhart – keine Sachbücher, sondern Romane. Hätte Brunnsteiner Recht bekommen, wäre es literarisch tatsächlich sehr schwierig geworden, reale Personen zu fiktionalisieren. Das war der grundsätzliche Aspekt in dieser Auseinandersetzung.

Und wie ist es mit dem Satz aus Mannharts Roman: «Das Kaspische Meer ist so gross wie Deutschland»? In einer Reportage von Brunnsteiner, mit der Mannhart gearbeitet hat, steht ja tatsächlich: «Das Kaspische Meer mag so gross wie Deutschland sein.» Ist das kein Plagiat?

Nein. – Wie dieses Beispiel betreffen die meisten Belegstellen Brunnsteiners Sachverhaltsfeststellungen. Solche darf jedermann treffen, auch in ähnlicher Formulierung, ohne ein Urheberrecht zu verletzen. Das Urheberrecht schützt Werke und Werkteile, aber nicht deren Inhalt, sondern deren Form. Entscheidend ist die Art, wie der Inhalt künstlerisch geformt ist. Erscheint die Aussage, das Kaspische Meer sei so gross wie Deutschland, als Werkteil in einem einzigartigen Vers, dann ist der Vers als Vers geschützt, aber nicht die inhaltliche Aussage, die sich sinngemäss sogar auf Wikipedia findet.

Das heisst: Eine Paraphrase ist kein Plagiat.

So ist es. Wobei «Plagiat» sowieso ein schwieriger Begriff ist. Ein Richter sagte, Brunnsteiner habe sich bei seinen Vorwürfen vermutlich von der Diskussion um wissenschaftliche Plagiate in die Irre führen lassen. Dort geht es aber nicht um Urheberrecht, sondern um Wissenschaftsethisches, um Unredlichkeit, um Überprüfbarkeit der Quellen.

Was Mannhart gemacht hat, ist dagegen eine künstlerische Anknüpfung an ein bestehendes künstlerisches Werk. Wenn Schostakowitsch in seiner 15. Symphonie Rossini und Wagner zitiert, ist das kein Plagiat. Und Lukas Bärfuss hat in Bezug auf seinen Roman «Hundert Tage» gesagt, wenn Brunnsteiner Recht bekomme, könne er seinen Roman vergessen.

Geht es allenfalls umgekehrt auch bei Mannharts Roman um ein literaturethisches Problem?

Das mag sein. Auf jeden Fall sind Mannharts Übernahmen keine Urheberrechtsverletzungen. Abgesehen davon hat er dem Roman ein Brunnsteiner-Motto vorangestellt [«Wir teilen, ich trinke aus seinem Zahnputzbecher. Er aus der Flasche», fl.] und Brunnsteiners Name ist bei den Danksagungen aufgeführt.

Für die Zunft der Literaturproduzierenden ist der Schaden abgewendet. Mit diesem gelungenen Vergleich, könnte man sagen, war das Ganze bloss halb so schlimm.

Das wäre falsch. Für das Buch ist der Schaden nicht mehr gut zu machen, sowohl was den Verkauf, als auch was mögliche Auszeichnungen für den Roman betrifft. Für Mannhart bleibt das Jahr mit dem Plagiatsvorwurf, das ihm die schriftstellerische Weiterarbeit ausserordentlich erschwert hat, eine schlimme Erfahrung. Und auch für Brunnsteiner ist das Ergebnis des Vergleichs schlecht: Gewonnen hat er nichts, dafür 20'000 Franken Schulden – dazu die Anwaltskosten. Er ist in dieser Sache von falschen Freunden beraten worden.

 

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«Freude auf alles Künftige»

Journal B hat den Schriftsteller Urs Mannhart um einen Kommentar zum «Vergleich vom 22. Juli 2015» gebeten, wie das zweiseitige Dokument überschrieben ist. Hier seine Antwort:

«All die Vorwürfe, die mächtige, den gesamten deutschsprachigen Raum erfassende Aufregung in den Medien, die abschätzigen Urteile von eilends arbeitenden, schlecht bezahlten Journalisten, die kaum Zeit finden, sich ausführlich mit der Quellenlage von Romanen zu beschäftigen, die täglich über mir schwebende Keule des Wortes Plagiat, die flächendeckende fachliche Ahnungslosigkeit in der Gesellschaft und der vollkommen unverständliche und unverhältnismässige provisorische Entscheid des Gerichts im vergangenen Herbst; all dies bildete eine Lawine, die mich mitten auf einem leichten, sommerlichen Spaziergang erfasste, eine Lawine, aus welcher kein Entkommen war, in welcher die Welt auf ein einziges Thema reduziert war, eine Lawine, die mich tosend und polternd mittrug, bis sie schliesslich stillstand und ächzend vergletscherte. Gestern nun ist dieser Gletscher in einem unglaublichen Tempo weggeschmolzen, hat sich aufgelöst in einem Rinnsal von Schmelzwasser.

Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit nun versteht, dass ich in 'Bergsteigen im Flachland' nicht anders gearbeitet habe als viele andere Schriftsteller auch. Hoffe, es sei nun klar, dass sich in meinem Roman nicht mehr und nicht weniger Fremdtext-Fragmente und intertextuelle Bezüge finden als in anderen Romanen auch.

Ich werde mich freuen über jedes Exemplar meines Romans, das nun noch eine Leserin, einen Lesern finden wird. Klar, die Angelegenheit hat mir viel Schreibsalz aus der Seele gespült, und es war bitter zu sehen, wie sehr der Inhalt meines Romans in der Diskussion vergessen ging.

Nun aber freue ich mich auf alles Künftige.» (Mail, 23. Juli 2015)

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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