Das winkelriedische Alleinsein im Kampf

 

20. August 1983, Samstagmorgen: Die von Armee-Einheiten erstellte Brücke verbindet einen neu angelegten, schnurgeraden Weg vom Bahnhof Langenthal entlang der weitläufigen Mittel- und Gewerbeschulanlagen über die alte Zürich-Bern-Strasse mit dem offenen Feld. Dort riesige, in den oberen Rängen gedeckte Tribünen, die die sechseckige Schwingarena bilden: «WILLKOMMEN BEIM VOLKSTÜMLICHEN FEST IN LÄNDLICHER UMGEBUNG.»

Hier: Herumeilende Offizielle, Männer, Frauen, Kinder, alle mit grünen oder gelben T-Shirts bekleidet, auf denen ein Schriftzug über ihre Funktion Auskunft gibt: SCHWINGEN, TON, VERPFLEGUNG, VERKAUF und so weiter. Ein blondes Mädchen eilt mit einem Stoss Blätter in der Hand an mir vorbei. Auf seinem grünen Leibchen steht: KURIER. Einige Funktionäre haben jene feldgrünen Funkgeräte umgehängt, mit denen ich die militärisch korrekte Funkkommunikation auf der Stufe Rekrut zu trainieren hatte: Verstanden, antworten.

Zehn vor acht: Auf der Matte, die von sechs Tribünen umschlossen wird, zeigen sieben knapp eine Are Boden bedeckende Sägemehlflächen die Kampffelder für die Schwinger an, die eben aufgerufen werden, sich zum Appell einzufinden. Nach kurzer Zeit stehen, ausgerichtet, kleine, von dunkelgekleideten Sennen- und weissgekleideten Turnerschwingern gebildete Kompanien auf der weiten Matte. Ruhn!

Fast unbemerkt im weiteren Zuschaueraufmarsch (sind das jetzt fünf- oder zehn- oder schon fünfzehntausend Leute?) beginnen Punkt acht Uhr die Kämpfe des «Anschwingens»: Die erste kleine Woge von Applaus, weit drüben wälzen sich zwei Kämpfer im Sägemehl, der eine wird auf den Rücken gezwungen, dem anderen klatscht der Kampfrichter mit der flachen Hand aufs Kreuz, die Männer erheben sich, der Sieger klopft dem Besiegten das Sägemehl von der Schulter, Applaus und Rufe sind verebbt, zwei neue Kämpfer legen sich gegenseitig, grätschbeinig an der Schwingerhose des Gegners Griff suchend, die Köpfe auf die Achseln.

Die vorbeiziehenden Zuschauer auf der Suche nach ihren Tribünenplätzen: Ihre gute Laune, ihre Zuversicht, Gespanntheit, Neugierde, Vorfreude, die übermütigen Wortwechsel, Rufe. Was der eine beobachtet, zeigt er lebhaft dem andern, jetzt ist alles wichtig, jetzt will keiner etwas verpassen; wie befreiendes Aufatmen, wie Schulkinder am Morgen der Schulreise: Freie Schweizer, der Wochenfron entkommen, wieder braust vorn Applaus auf, Jauchzer antworten.

Jugendliche in gelben VERPFLEGUNGS-Leibchen tragen in kleinen Metallgittern Bier, Weisswein und Mineralwasser in die Tribünen hinauf. Weiter drüben pfupfen Plastikverschlüsse von Bierflaschen. Vor der Tribüne gehen mehrere Frauen in Trachten vorbei. Aufschrei aus hunderten von Kehlen. Hinter mir, lebhaft: «Itz het Lehme Fridu gwunne u Amschtutz het verloore.» Der Alte mit Brille und Stock, in der linken Hand das Festprogramm, den geflochtenen Sonnenhut in den Nacken geschoben. Charles Raedersdorfs flächendeckende Lautsprecherstimme: «Uf Platz sibe hei Winiger Werner u Enggi Johann-Martin zämegriffe.» An der Abschrankung vor den Tribünen sitzt eine Frau. Auf der Vorderseite ihres T-Shirts über rot-blauem Grund: «USA». Auf dem Rücken: «DOBLER». Unter «Auslandschweizer» gibt es auf der Schwingerliste den Dobler Louie, Kalifornien. Gestikulierend unterhält sie sich mit Sitzenden auf den vordersten Plätzen der Tribüne. «Platz sibe: Winiger Enggi gschtellt.»

«10.30: Empfang der Zentralfahne im Gugelmann-Park»: Die Jodler in braunen Hosen, schwarze Trachtenkittel mit roten Streifen, weisse Hemden, schwarzer Hut; fünf offizielle Fahnenschwinger, in Trachten, ihre Fahnen, quadratmetergross mit Handgriff an kurzem Stiel; fünf Alphornbläser in Trachten, wartend, ihre Instrumente, jetzt, zwanzig nach zehn, auf die untere Kante der Schalltrichter gestellt; zwei Musikgesellschaften: Polizeimusik St. Gallen, Harmonie Langenthal, links und rechts vom Rednerpult ein Fahnenwald (mit Aufschriften wie «Militär Motorfahrer Bern 1937»). Der Dirigent der Harmonie tritt an mich heran, verwechselt mich mit einem Radioreporter, sagt: «Dr letscht, wo mer schpile, isch d’Uruffüerig vom Eidgenössische Schwingermarsch, vo mir. Dir wüsset, wär i by?» Nein. «Erich Pe Bader», sagt er, sein Gesicht im grauen Bart lächelt einnehmend. Drüben zwei oder drei Divisionäre und mehrere Obersten und Oberstleutnants. Die Jodler stimmen an: «E rächte Maa het d’Heimat gärn und ds Volk us jedem Schtand.» Seit dem letzten nationalen Schwingfest in Sankt Gallen war die Eidgenössische Schwingerfahne dort aufbewahrt, jetzt wird sie, für die nächsten drei Jahre, den Langenthalern überbracht, Regierungsrat Paul Gemperli, lic. iur., Finanzdepartement, führt die Sankt Galler Delegation an und ergreift jetzt das Wort: «Herr President, liebi Schwingerfründ, mini sehr vereerte Dame und Here. Im Name vom Organisationskomitee und vom Schwingerverband Sangallä und Umgäbig möcht i Ene zerscht emol ganz herzlech dangge för dä liebenswürdigi Empfang, wo Si üs do in Langethal bereited hend.»

Zurück im Festgelände, jetzt auf der Pressetribüne. Betritt ein «Böser», ein Favorit, den Platz, wogt ein Raunen über die Tribünen; setzt er zum Zug an, braust ein Schrei auf; abebbend, wenn er misslingt, kulminierend in Jauchzern und stürmischem Applaus, wenn er gelingt und der Gegner platt auf die Schultern ins stiebende Sägemehl fliegt. Einige vor der Ehrentribüne herumflanierende Offiziere haben den schwarzen Streifen der Generalstäbler an den Hosen. T-Shirt: «SAN DIEGO SWISS CLUB». Mittagspause.

13 Uhr: Noch in den Schlussakord der Alphornbläser hinein, die auf der grossen Matte ein Ständchen gegeben haben, bedankt sich die Lautsprecherstimme für den Vortrag und beginnt, Namen der Schwinger und Platzzuteilung für den dritten Gang zu verlesen. Die vom Mittagessen Zurückströmenden holen wieder ihre Feldstecher hervor, Einzelheiten sind aus der Tribünen-Distanz sonst kaum zu erkennen.

SCHWINGEN: Dieses Tappig-Bärentänzerische der Kämpfer; dieses Männliche mit dem Geruch von Gewehrfett, eingetrocknetem Samen und schalem Bier; dieses sozusagen naturhaft Urchige, Soldatische, Vaterländische; dieses Standhalten und felsenfest Mit-beiden-Beinen im Sägemehlboden-Stehen und das winkelriedische Alleinsein im Kampf; dieses Fassen, Klammern, An-sich-Ziehen, das Überwältigen, Auf-den-Rücken-Zwingen mit aller Gewalt, dieses Wehrlos-Machen des heftig Atmenden, Zuckenden und Stöhnenden unter sich.

Auf Platz Nummer zwei wird ein Kämpfer verletzt weggetragen, sein Gegner begleitet ihn, kameradschaftlich. Neben dem Kampfplatz wird er ins Gras gelegt, Sanitäter, einer mit Bahre, kommen von verschiedenen Seiten herbeigeeilt. Jetzt, um zwei Uhr nachmittags, ist die ganze Arena, brodelnd und wogend, wieder in den Bann der Aktivitäten auf den sieben Plätzen gezwungen. Eben werden die drei Lebendpreise für die Sieger, ein Rind, ein Fohlen und ein Stier, zur Begutachtung vor den Tribünen entlanggeführt.

Um halb vier trifft die Spitze des Festumzugs «Ländliches Leben» auf dem Gelände ein: In einer Kutsche Bundesrat Leon Schlumpf, dahinter wieder das Dutzend hoher Offiziere, das heute zur Repräsentation abdetachiert ist, dahinter in mehreren breiten Reihen politische Honoratioren. Dahinter lange nichts mehr. (Kurz darauf muss hier, vor der Arena draussen, das Bild gestellt worden sein, das tags darauf die Titelseite des «SonntagsBlicks» zierte: Der prominente Schwinger Ernst Schläpfer nimmt den Bundesrat Schlumpf auf die Arme. Schlumpf seinerseits hat seine Arme, den einen um Schläpfers Nacken herum, auf die Schultern von zwei blumentragenden Ehrendamen gelegt. (Ein Bild, das es nicht gibt, das diese Zeitung aber wohl, hätte sie es, genau so prominent abdrucken würde: DDR-Staatspräsident Erich Honecker hält in seinen Armen die von den Leichtathletik-Europameisterschaften aus Helsinki zurückkehrende Sprinterin Marita Koch, die ihrerseits mit den Händen, die eine um Honeckers Nacken herum, die Haare zweier mediokrer Funktionäre krault. Und auch die Bildlegende stelle ich mir vor: Dieser schamlose Missbrauch der Popularität von Spitzensportlern zur Verherrlichung dieser sogenannt demokratischen Republik könne nicht anders als obszön bezeichnet werden.)

Mittlerweile wieder auf der Pressetribüne: Bereits dauert der Kampf auf Platz sechs drei, vier Minuten, immer wieder lassen die beiden Schwinger ihre Griffe fahren, kehren in die Mitte des Platzes zurück, ergreifen neu den Ledergürtel an der Schwingerhose des Gegners, dann zieht der erste den zweiten plötzlich an sich heran, versucht, ihn mit aller Gewalt aus dem Boden zu reissen und ihn, rückwärtsfallend, während einer Drehung des eigenen Körpers auf die Schultern zu katapultieren, wird aber in diesem Augenblick selber rückwärtsgestossen, kommt nicht mehr zum Abdrehen und fällt nach hinten, wo der Gegner ihn blitzschnell auf die Schulterblätter niederdrückt.

Als die Kämpfe gegen fünf zu Ende gehen, wehen Gewitterböen Regentropfen über die Arena. Sägemehl bleibt Sägemehl, die Schwingerhosen müssen gefertigt sein wie vor hundert Jahren, an den Regeln des Kampfes ist seit Menschengedenken nichts geändert worden. Aber um diese Tradition wächst dieses unheimliche Stadion, wuchert perfekte Organisation. War der Druck im Magen, schon den ganzen Tag, oben auf der Tribüne, Angst vor dieser beängstigenden Mischung von versteinertem Schweizertum und modernem Krisenmanagement? Vor der Arena beginnen Kinder mit dem Verkauf von Zwischenranglisten nach vier Gängen («Eine Dienstleistung der Rivella AG»), das gewittrige Gewölk verzieht sich langsam.

Sonntagmorgen, halb acht: Auf der neuangelegten, schnurgeraden Strasse ins Hard-Quartier hinaus ein endloser Zug von Leuten in Sonntagsgewändern, Trachten und Kitteln, als ginge es zur Predigt von Pfarrer Bitzius, nüchterne Männer und Frauen mit ruhigem Schritt, mit einem Thema, geplaudert, gerufen: Dass der Gasser im fünften Gang gegen den Betschard anzutreten habe und wie es dem Santschi gestern ergangen sei und dem Ehrensberger.

Vor der Arena: Acht-, neunjährige Buben, die sich lauthals darüber streiten, wer gestern näher beim Bundesrat Schlumpf gestanden habe, am Nachmittag. Einer bietet einen Meter, ein anderer übertrumpft ihn mit dreissig Zentimetern. Und warum der alt Bundesrat Gnägi das Eidgenössische nicht besuche, und warum der Schläpfer mit zwei Gestellten zu Beginn enttäuscht und ob der Vater am Abend das Schwingen auf Video aufgenommen habe.

Wie innerhalb der einzelnen Gänge eine Dramaturgie des Geschehens entsteht, eine Inszenierung, der ich mich nicht entziehen kann. Zuerst werden auf allen Plätzen Kämpfe von Unbekannten, Zurückgefallenen, Glücklosen ausgetragen, dann kämpfen zunehmend mehr «Böse». Jetzt kurz vor neun ein solch dramaturgischer Höhepunkt, der vom Zufall noch verstärkt wird: Innert weniger Sekunden gewinnen auf drei verschiedenen Plätzen die «Bösen» Schläpfer, Santschi und Ehrensberger. Das akustische Nachzeichnen des Geschehens aus zwanzig-, fünfundzwanzigtausend Kehlen.

SCHWINGEN: Der Geruch des stiebenden Sägemehls, sein holziger Geschmack auf den Lippen, der Geruch des Gegners, Schweiss, Staub, Massageöl, der Blick über den fremden Rücken (weisses T-Shirt beim Turnerschwinger, kragenloses, blauweiss kariertes Bauernhemd beim Sennenschwinger). Sägemehl, Gras, Zuschauerreihen: bunte, verschwommene Schlirggen. Das Lauern auf jede Muskelspannung, jedes Zucken, jeden Trittwechsel, jeden Griff, auf den keuchenden, rauschenden Atem des Gegners, der den Entschluss anzuziehen um Sekundenbruchteile vorausnimmt, des Gegners Aufschrei grösster Anstrengung im Augenblick des Angriffs, das Echo des Aufschreis, das sich mehrhundertkehlig die Tribünen hinauf fortsetzt. Jetzt wanken sie beide und kippen wie ein fallender Baumstamm zur Seite, und kaum greift die erste Hand ins Sägemehl, wippen sie, wie von einer unsichtbaren Feder gezogen, zurück in den Stand. Die andere Hand hat nicht einmal den Griff an der Schwingerhose des Gegners gelöst.

Um halb zehn wird das Schwingen unterbrochen für die «Offizielle Übergabe der Eidgenössischen Schwingerfahne» vor der Ehrentribüne. Von links: Jodler, Alphornbläser, im Vordergrund Fahnenschwinger. Um die Rednertribüne Trachtenleute, Fahnen, rechts die Langenthaler Kadettenmusik. Jetzt wieder Bundesrat Schlumpf, flächendeckend verstärkt: «Vereerti Damen und Heera Behördavertretar, liebi Schwingar, Hornussar und Schtaischtossar, vereerti Gaschtggebar und Gescht, mini Damen und Heera: Am hüttiga Feschttaag erleba miir am Aidgenössische Schwinger- und Älplarfescht jetzt di chrönanda Schtunda. Si bilda dr Abschluss vonara iidrücklicha Kundgeebig vo üserem schwizzerischa Bruuchtum und vo urwüxigam, mannhaftam Schport. I froia mi, dass i dem Aaalass vo nazionaler Bedüütig darf beiwoona.» Im Typoskript der Rede, das an die Presse abgegeben wird, sind folgende Termini unterstrichen: «Eindrückliche Kundgebung/ Anlass von nationaler Bedeutung/ Vielfalt und Einheit/ unsere Pflicht/ unsere Verantwortung/ Kraft und Einsatz/ Solidarität und Stärke/ Respekt und Toleranz/ Anerkennung unserer demokratischen Ordnung/ Grundlage unserer nationalen Einheit/ im Namen des Bundesrates».

Dann werden die Schwinger zum sechsten Gang aufgerufen. Zum zweiten Mal wird über Lautsprecher die Mitwirkung von «verschiedenen Einheiten der Armee» verdankt, die rund um den Anlass wertvolle Dienste geleistet hätten und noch leisten würden. Freundlicher Applaus. Jetzt, viertel vor elf, sehe ich im ganzen Stadion keine freien Plätze mehr (im Laufe des Nachmittags wird offiziell bestätigt, dass 36 000 Personen anwesend und die Plätze der Arena demnach ausverkauft seien).

Nach dem siebenten Gang der Schwinger der Final im Unspunnenstein-Stossen: Ein Dutzend Meter hinter dem Balken, den er nicht übertreten darf, beugt sich der Stösser, noch einmal die Arme durch Schütteln lockernd, über den dreiundachtzig Kilogramm schweren Stein, ergreift ihn zu beiden Seiten, wuchtet ihn mit einem ersten Schwung hinauf vors Geschlecht und von dort, fast noch mit dem gleichen Schwung und nun nachhelfend mit dem sich kraftvoll anwinkelnden Knie und den blitzschnell unter den Stein klappenden Armen, vor die Brust, wo er für einen Augenblick verschnaufend den Stein verharren lässt. Mit einem letzten Schwung stemmt er ihn dann ganz in die Höhe und lässt nun seinen durchgestreckten Körper sich langsam nach vorne neigen, bis ihn das fliehende Gewicht des Steins Richung Balken gehen lässt. Noch um eine Spur nimmt die Neigung zu, werden seine Schritte länger, wie er sich jetzt dem Balken nähert und mit einem letzten Vorbeugen des Körpers, das er gleichzeitig mit einem grätschenden Ausfallschritt vor dem Balken aufzufangen versucht, den Stein fahren lässt, der schräg nach unten fallend nach gut drei Metern aufschlägt und weit in die Matte hinauskollert.

Der achte Gang: Die schwüle Hitze, die Müdigkeit, die zugewiesenen Gegner, die immer stärker werden. «Uf Platz zwoo hei zämegriffe…» Raedersdorfs pastorale, ruhige Stimme, nun schon den zweiten Tag die Arena beherrschend, Gesprächsfetzen, Stimmengemurmel, Klatschen, die Melodiebögen der Aufschreie, immer ähnlich. Hinter mir auf der Pressetribüne diskutieren zwei ältere Journalisten den Grundsatz der Armee, Einheiten zum Einsatz am Schwingerfest nur dann zu schicken, wenn es ihrer Ausbildung diene. Ausserhalb der Arena vorbeigehende Trommler. Dann ist dieser letzte Gang des Kranzausstichs bis auf einen Kampf vorbei, sind Siege und Punkte verteilt. Warten auf den Schlussgang. Der mittlere Kampfplatz wird mit Wasser bespritzt und frisch gerecht. Zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es mehrere Schweizen, und dann hat meine mit der hier nichts zu tun, oder es gibt nur eine Schweiz und dann gibt es die, die ich hier gesehen habe. Vorgekommen bin ich mir, nicht nur, als zum Schluss des Festakts sich die über 30 000 Leute erhoben, um die Nationalhymne zu singen, wie ein Spion hinter feindlichen Linien (obschon ich kaum fünf Kilometer von hier geboren und aufgewachsen bin): Gemütlich haben sie’s, wenn sie nicht mit dummen Fragen belästigt werden, und Fragen sind immer dumm, dort, wo es nichts als Stolz und Gehorsam braucht, Schweizer zu sein. Ein warmer Windstoss trägt den Geruch von feuchtem Sägemehl bis in die Tribünen herauf.

Als die beiden Sennenschwinger nun, den Gürtel der Schwingerhose zuschnallend, mit schweren Schritten ins Sägemehl treten, braust  überschäumender Jubel auf. Der Kampfrichter tritt hinzu, die beiden Kämpfer, zwei «Böse», reichen sich die Hand. Dann beginnt der Schlussgang.

Nachgedruckt in: Fredi Lerch: Mit beiden Beinen im Boden, Zürich (WoZ im Rotpunktverlag) 1995, 239-247. (Dokumentiert wird die Buchversion.)

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