Grünes Licht für das Projekt Hochebene

 

I

Nachdem nun, noch im Rahmen der laufenden Herbstsession, auch die zweite Kammer, gegen die perfide emotionale Opposition gewisser Kreise, mit einem Stimmenverhältnis von knapp 5:1 ihren Segen zum Projekt Hochebene gegeben und damit gleichzeitig den für die Vorarbeiten benötigten Kredit von 3,7 Milliarden Franken gesprochen hat, steht nach menschlichem Ermessen der Realisierung dieser einer der kühnsten je von Menschen erdachten Ideen nichts mehr im Wege.

 

II

Worum geht es? Die Grundidee des Projekts Hochebene besteht grob gesagt darin, das Panorama der sogenannten Berner Alpen, deren verheerende Auswirkungen auf das Klima des Voralpengebietes bis hinab in die Niederungen des Mittellandes seit dem Vorliegen der Ergebnisse der KLOMAT-Studie allgemein bekannt sind, zwischen der Blümlisalp und dem Wetterhorn bis auf eine Höhe von 2250 Metern über Meer abzutragen. Das anfallende Geröll dient anschliessend zur Aufschüttung des oberen und mittleren Emmentals zwischen den Flussläufen der Aare und der Emme bis auf die Linie Bantiger-Lützelflüh, die entstehende Hochebene wird sich von rund 1500 Metern am Fuss des Sigriswiler Grates bis auf knapp 1000 Meter in der Region Bantiger senken. Das so gewonnene, fast ebene Land soll neu besiedelt und nach Zonenplänen in Acker- und Weideland, sowie aufzuforstende Gebiete aufgeteilt werden. Der bäuerliche Charakter des Gebiets soll bewahrt und der voralpinen Höhe entsprechend vor allem Milch- und Forstwirtschaft gefördert werden. Auf Intervention aus Kreisen des Fremdenverkehrs wird das Alpenpanorama anschliessend an gleicher Stelle leicht redimensioniert mit einer ultrastabilen Rohrstangenkonstruktion und absolut reissfestem Kunststoffüberzug rekonstruiert. Wie vom Präsidenten der vorberatenden Kommission zu erfahren war, könne so die «Panoramaästhetik» gewahrt werden, ohne die in der KLOMAT-Studie nachgewiesenen Nachteile eines echten Hochgebirges in Kauf nehmen zu müssen. – Soweit in groben Zügen das Projekt, das den Schweizer Steuerzahler in den nächsten 14 Jahren voraussichtlich die Summe von 26,8 Milliarden Franken kosten wird.

 

III

In einer ersten Phase bewilligte nun das Parlament die Tranche «Vorarbeiten», was die erwähnten 3,7 Milliarden Franken ausmacht. Es wird im Rahmen dieser Vorarbeiten im Verlauf der nächsten knapp drei Jahre vor allem um zwei Dinge gehen:

1. Das obere und das mittlere Emmental werden entvölkert. Auffanglager für Frauen, Kinder und Rentner sind in der ganzen Schweiz geplant. Der arbeitsfähige Teil der Emmentaler Bevölkerung wird in langgezogenen Barackenstädten entlang des Aare- und des Emmentals untergebracht. Seine Aufgabe wird es einerseits sein, sämtliche Wälder niederzuholzen und das – vor allem für den Export bestimmte – Holz abzutransportieren, andererseits muss vor Beginn der eigentlichen Aufschüttungsarbeiten mehr als ein Kubikkilometer Humus beiseitegeschafft werden, der anschliessend die neu entstandene Hochebene mit einer Dicke von durchschnittlich einem Meter überziehen soll.

2. Gleichzeitig wird ein speziell bewilligtes Kontingent von 2500 Fremdarbeitern ein Fliessband mit einer maximalen Belastbarkeit von 200 Tonnen/m2 errichten, das die ungefähre Breite einer 6-spurigen Autobahn aufweisen und von Konolfingen via Thun bis nach Spiez reichen wird, wo sich das sogenannte «Mutterband» aufteilen wird in verschiedene «Tochterbänder», die das anfallende Geröll aus den verschiedenen Tälern (Kandertal, Kiental, Sulgtal, Lauterbrunnental und Lütschinental) bis nach Spiez transportieren werden. Die ganze schweizerische Metallindustrie wird sich während der nächsten drei Jahre in die Produktion dieses epochalen Fliessbandes teilen.

 

IV

Wie nicht anders zu erwarten war, hat der Parlamentsentscheid landesweit kontroverse Reaktionen ausgelöst. Der Vorort für Handel und Industrie äusserte sich befriedigt vom «zukunftsweisenden Entscheid im Bundeshaus» und sprach in seiner Pressemitteilung von der «wirtschaftsstabilisierenden Langzeitwirkung» des Projekts. Ebenfalls begrüsst wurde der Startschuss für das Projekt Hochebene von den Gewerkschaften. In ihrem gemeinsamen Communiqué heisst es, durch dieses Projekt, «das eigentlich schon ins nächste Jahrtausend gehört», sei die Arbeitsplatzfrage auf Jahrzehnte hinaus zum sekundären Problem geworden. Als vordringlichste Aufgabe erachteten sie es nun, wie es weiter heisst, «in vorderster Front» für gerechte Arbeitsbedingungen für alle Emmentaler Kollegen und das Zusatzfremdarbeiterkontingent zu kämpfen. Von den vier Bundesratsparteien reagierten deren drei spontan zustimmend bis begeistert, einzig der Pressesprecher der Sozialdemokratischen Partei äusserte sich zurückhaltend: Man wolle in der Parteileitung, trotz der loyalen Haltung der SP-Parlamentarier in der Frage des Projekts Hochebene, mit einer offiziellen Stellungnahme solange zuwarten, bis gewisse «Unklarheiten an der Basis» ausgeräumt seien. Während sich die kirchlichen Hilfswerke bereit erklärt haben, «alle bedürftigen Emmentaler in ihren Lagern mit Nahrung für Körper und Seele zu versehen», war von informierter kirchlicher Seite zu vernehmen, dass es «ein Gebot fortschrittlichen Bauens auf dem Boden christlicher Nächstenliebe» sei, dass auch in den neu zu errichtenden Gemeinden auf der Hochebene die Kirchen mitten ins Dorf zu stehen kämen.

Daneben ist, wie bei jeder sachlichen politischen Diskussion in diesem Land, auch dieses zu vermelden: Vorab linksradikale, aber auch einige leicht rechtslastige Gruppierungen versuchten mit der Opposition gegen das Projekt Hochebene ihr eigenes politisches Süppchen zu kochen, dessen Geschmack, respektive Vorgeschmack man ja nachgerade sattsam und zur Genüge kennt, um es hier einmal deutlich zu sagen. Während es von links her destruktiv tönte, in einer vollkommen zerstörten Umwelt sei es nicht mehr möglich, für eine bessere Welt zu kämpfen, machte man sich auf der rechten Seite in einem nicht einfach von der Hand zu weisenden Punkt Sorgen: Beim Import von mehreren tausend fremdrassigen Arbeitern, so konnte man hören, entstehe eine schwerwiegende Gefährdung des urbernerischen Volkstums, auch wenn diesmal nicht damit zu rechnen sei, dass durch Fremdarbeiter Arbeitsplätze von Schweizern gefährdet würden. Diesen Opponenten hat nun noch gestern Herr Bundespräsident Gotthelf Ehrlichmann (SP) in einem Interview, das er der Tageszeitung FICK gewährte, klare Antwort gegeben, indem er ausführte, dass das Projekt Hochebene im nationalen Interesse unseres Vaterlandes liege und dass die oppositionellen Minderheiten sich hüten müssten, ihre egoistischen Partikularinteressen der Mehrheit unseres Volkes mit undemokratischen Mitteln aufzwingen zu wollen.

Zu solchen Mitteln gedenkt offenbar die seit Jahren bestehende Interessengemeinschaft «Errettet das Emmental» (ERDE) zu greifen. In ihrer Stellungsnahme spricht sie davon, dass es jetzt darum gehe, «gegen den diktatorischen Versuch wirtschaftshöriger Hampelmänner, das Emmental gegen den erklärten Willen der Bevölkerung dem Erdboden gleichzumachen», mit allen Mitteln vorzugehen. Unbestätigten Mitteilungen zufolge sei noch gestern abend in Signau die Gründung einer «Brigade Leuenberger» bekannt geworden, die unter dem Schlachtruf «Emmental oder tot» wenn nötig mit Waffengewalt ihren Grund und Boden verteidigen will.

 

V

Nicht gleichgültig ist uns allen das Schicksal der im betroffenen Gebiet ansässigen Bevölkerung, die sich den demokratischen Spielregeln unterwirft. Sie hat die traurige Pflicht, den nunmehr wankenden Boden, auf dem sie seit den Zeiten des stierengrindigen Leuenberger (den vierteilen zu lassen sich ja dann die gnädige Berner Obrigkeit genötigt sah) ihre Heimat hatte, für mehr als zehn Jahre zu verlassen, um dann in eine Heimat zurückzukehren, die ihr Gesicht zugunsten des Fortschritts radikal verändert haben wird. Es wird in dieser kommenden Zeit die Pflicht von uns Miteidgenossen sein, die tapferen Emmentaler in ihren unfreiwilligen Exilen darin zu bestärken, dass sie auch weiterhin stolz sein können, Emmentaler zu sein, wie es in ihrem schönen alten Lied vom Trueberbueb heisst. Die immer wieder gestellte Frage, ob denn die Realisierung des Projekts Hochebene wirklich nötig sei und ob die «grossangelegte Zerstörung der Heimat» – wie sich gewisse Kreise während der Zeit der politischen Ausmarchung auszudrücken beliebten – nicht ein Zeichen dafür sei, dass man in diesem Land aus wirtschaftspolitischen Überlegungen einem falschen Fortschritt huldige, hat der Landwirt Johann Ramseier aus Walkringen am letzten Sonntag in der Fernsehsendung «Tatsachen und Meinungen» in der träfen Art des einfachen Mannes beantwortet:«Es tuet mr jo scho chly weh, das i mues go. Aber i by de ou froo, wenn i nüm mit de Schtigise mues go grase.» Nicht Leuenberger, Ramseier wollen wir folgen: Wagen wir den Fortschritt!

 

VI.

Wie die Nachrichtenagentur sba kurz vor Redaktionsschluss meldet, hat die kurzfristige Verlegung der Felddivision  3, die seit einer Woche ihren regulären Wiederholungskurs im Raum Baselbiet/Fricktal absolvierte, in den Raum des mittleren Emmentals nichts mit dem Startschuss für das Projekt Hochebene zu tun. Vielmehr hätten gewisse organisatorische Schwierigkeiten zur kurzfristigen Umdisposition gezwungen, und man habe deshalb die sowieso im Emmental vorgesehenen Manöver um eine Woche vorgezogen. Energisch dementieren gewöhnlich gut unterrichtete Kreise das Gerücht, die Felddivision 3 sei vor diesen Manövern vereidigt worden. Wie der Sprecher des Militärdepartementes ausführte, lasse man sich nicht beunruhigen durch die Hetzpropaganda jener Kreise im Emmental, die jetzt von «einer noch nie dagewesenen Provokation» und von «bürgerkriegsähnlichen Zuständen» redeten. Immerhin werde die Felddivision 3 mit «aller Entschiedenheit» gegen jene vorzugehen wissen, die versuchten, den normalen Dienstbetrieb zu stören.

Wie allgemein bekannt ist, hat der Bundesrat die Realisierung der Projekts Hochebene im September 1985 offiziell zurückgestellt, nachdem ERDE-Terroristen des «Kommandos Ueli Galli» nacheinander die Gemeindeverwaltungen von Konolfingen, Schangnau und Eggiwil in die Luft gesprengt und die polizeilichen Ermittlungen zu keinem Erfolg geführt hatten. Bis heute kaum bekannt ist hingegen, dass die Landesregierung mit einem geheimen Beschluss am 30. April 1986 das umstrittene «Projekt Hochebene» in «Projekt Bundesratsbunker» umbenannte und den sofortigen Abbruch der Berner Alpen anordnete. Zur Zeit istdie Aushöhlung des Blümlisalpmassivs noch im Gang

Nachgedruckt in: Fredi Lerch: Mit beiden Beinen im Boden, Zürich (WoZ im Rotpunktverlag) 1995, 27-32. (Dokumentiert wird die Buch-Version.)

 

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