Dem Teufel ein Ohr ab

Wer sparen muss, muss Prioritäten setzen. Für 1991 hat die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG Prioritäten gesetzt: «Der 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft soll auch ein Medienereignis werden», verkündete Generaldirektor Antonio Riva an einer Pressekonferenz letzten Dienstag und drohte an, 1991 für 9,3 Millionen Franken über die staatlich verordnete 700-Jahr-Feier» berichtzuerstatten.

Die seit Jahren von rechts weichgeklopfte SRG plant ihren Canossagang auf die Rütliwiese: «Wir werden uns anstrengen, die Vielschichtigkeit der Ereignisse einem grösstmöglichen Publikum in den Regionen der Schweiz und auf allen fünf Kontinenten zugänglich zu machen.» Geplant sind «Direktübertragungen», «systematische und genaue Informationen», «nationale und regionale Sondersendungen» und ein «vollständiges Programm- und Bildangebot im Ausland dank Eurovision.»

Von den acht «Jass-91»-Sendungen inkl. Finale auf dem Bundesplatz in Bern bis zu den je neunzigminütigen Schlussphasenberichten der zehn Tour-de-Suisse-Etappen, von der Bundesfeier inkl. «Anfahrt der Gäste, Rütlifeier, Besuch Auslandschweizerplatz, Einzug der Gäste und offizielle Bundesfeier in Schwyz» bis zum Armee-Defilee mit «Truppengattungen aus allen Sprachregionen», vom «Konzert für Symphonieorchester und 11 Dampfschiffe» auf dem Genfersee bis zu Hansjörg Schneiders «Sinnspiel» im Nationalratssaal – das Fernsehen ist von der «Eröffnungsfeier im Botta-Zelt» bis zum «offiziellen Schlussakt» in Basel dabei.

Dazu kommen die Bemühungen von Radio DRS resp. «Radio 700». Zur laufenden Berichterstattung kommt «Radio Mobile» als «Sprachrohr der Jubiläumsveranstaltungen», kommt die 29teilige Serie «Alltag seit 1300» vom Minnegesang bis zu den «Sexualnormen im 20. Jahrhundert», das «Radiodörfli» für die Jugendlichen, die sich im September 1991 im Engadin auf Kommando europäisch begegnen werden – und so weiter. Ziel der SRG: «Wir möchten Ihnen in erster Linie das Fest und die Freuden einer Geburtstagsfeier näherbringen. Es leben die ‘700 Jahre Eidgenossenschaft’!»

Klar, wenn der leergeglaubte Staat für 180 Millionen Franken ideologischen Fastfood als desorientierte Staatspropaganda produziert, dann hat die SRG als Transmissionsriemen zu dienen; dann werden die bürgerlichen Medien zu geschmierten Solarimobilen; dann gibt es neben Verlautbarungsjournalismus nur noch den publizistischen Hochverrat. Kritik hat dann ausgedient, und das staatlich Verordnete hat als normativer Hammer niederzukrachen auf die Schädel des Fussvolks.

Wenn aber die zur offensichtlichen Selbstkorrumpierung aufgerufenen JournalistInnen nicht mitmachten und ihre Arbeit verweigern würden? An einer Veranstaltung der Ortsgruppe Bern der Journalisten- und Journalistinnen-Union SJU zur Frage, was uns die Jubelfeiern angingen, habe ich vorgeschlagen, die Berichterstattung über diese vaterländische Selbstdarstellung, die ja erst über ihre mediale Inszenierung breitenwirksam werde, zu boykottieren. Geantwortet wurde: Ja, wenn alle mitmachen würden, aber so würde man lediglich die Stelle riskieren. Und: Die grossen Medien, vorab die öffentlich-rechtlichen, hätten eben eine umfassende Informationspflicht.

Aber auch: «Berichtet dem Teufel ein Ohr ab, dann kann das Wort ‘700-Jahr-Feier’ schon im April 1991 niemand mehr hören, und das Feierjahr fällt durch. «So gesehen sind die geplanten Jubelfeier-Aktivitäten der SRG nicht «gruusig» oder «obszön», sondern, hoppla, subversiv, und es stellt sich in aller Schärfe die Frage: Ist die SRG eigentlich links unterwandert?

[Nachtrag WoZ Nr. 45 / 1990]

Späth kommt zu früh

 

Ein grosses Projekt von Radio DRS ist letzte Woche an der Pressekonferenz zu den SRG-Aktivitäten anlässlich der «700-Jahr-Feier» schamvoll verschwiegen worden: die Serie von 26 Hörspielen, die bereits im Januar 1990 Publizität erhielt, als Gerold Späth mit dem Rückzug seiner Arbeit aus Protest gegen den Fichenskandal das Signal zur Kulturboykott-Diskussion gab. Damals meldete die Nachrichtenagentur SDA, Späths Hörspiel «hätte im Rahmen einer ‘700-Jahr-Feier’-Serie im Jahr 1991 gesendet werden sollen».

Diese Serie gibt es weiterhin. Der Grund, dass sie nicht erwähnt worden ist, ist einfach: Bei den Hörspielen handelt es sich nicht um ein nationales, sondern lediglich um ein sprachregionales Projekt, so Joe Wolf, Pressechef SRG. Respektive: Bei den Hörspielen handelt es sich bloss um ein sprachregionales Projekt, das allerdings den anderen Regionen zur Übernahme angeboten wird. Warum sich in der Pressemappe andererseits Unterlagen zu «zwei unveröffentlichten Radiohörspielen in Romanisch» finden, ist inkonsequent, so Hanspeter Fricker, Chef Abteilung Wort Radio RDS Zürich. Respektive: Der SRG-Pressedienst hat die Vorstellung dieses Projekts schlicht «verlaueret», so die Vermutung von Martin Bopp, Ressortleiter Hörspiel Radio DRS. Respektive: Die AutorInnen der Hörspiel-Serie sollten angesichts der nach wie vor laufenden Kulturboykott-Diskussion nicht exponiert werden (Vermutung Walter Baumgartner, Hörspiel-Dramaturg). Respektive: Die SRG will nicht an die grosse Glocke hängen, dass unter den AutorInnen der Serie zum Beispiel Fritz Schäufele, unheimlicher Patriot und Hofpoet der rechtsextremen «Schweizerzeit», figuriert, aus Angst, dass noch weitere AutorInnen wie Gerold Späth reagieren könnten (Vermutung fl.).

Übrigens wird Späths Hörspiel trotz allem gesendet. Juristisch hätte er die Ausstrahlung nur verhindern können, wenn er die Produktionskosten von über 20000 Franken zurückerstattet hätte. Als Kompromiss wird das Hörspiel zwar bereits innerhalb der «700-Jahr-Feier»-Serie, aber noch 1990 ausgestrahlt, nämlich am Sonntag, 23. Dezember (Wiederholung 28. Dezember). 

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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