Ruf des Raben über der Stadt

Um halb eins, auf der Suche nach den DRS-Mittagsnachrichten, bleibe ich vor dem Radio an einer literarischen Lesung hängen. Zwischen spröden Trommelklängen mündet der gelesene Text immer wieder in den Refrain: «Um die Rückseite der zehn Gebote geht es / um das Geheimnis der Träume / um ihr Fernbleiben am Morgen / um den Ruf des Raben über der Stadt». Das war meine erste Begegnung mit RaBe, dem dritten Berner Lokalradio.

Vom 5. bis zum 13. März hat RaBe auf der Frequenz 101,9 MHz rund um die Uhr, knapp 200 Stunden lang, gesendet. Angestrebt worden ist ein «freies HörerInnenradio», ein «Gemeinschaftsradio» mit «zweiseitiger Kommunikation» und «aktiver Beteiligung an der Programmgestaltung» durch das Publikum. Ausgeschlossen sein sollten lediglich «nationalistische, rassistische und sexistische Tendenzen» (so der Zweckartikel des Vereins RAdio BErn).

In Rahmen dieser Vorgaben haben Gruppierungen verschiedenster Herkunft nach eigenem Gutdünken ihre Sendezeit – gewöhnlich eine Stunde – gestaltet. Schwerpunkte bildeten der internationale Tag der Frau am 8. März, als Frauen den RaBen für 24 Stunden zur Krähe machten, die Beiträge der AusländerInnen in insgesamt mindestens zehn Sprachen (Schwerpunkt Kurdistan/Türkei/Iran), die Info-Blöcke zwischen 17 und 19 Uhr, sowie ein täglich vor Mitternacht ausgestrahltes Hörspiel in insgesamt sieben Teilen («Der Rabe»). Der Kurzversuch war ein vielversprechender Anfang: Für das breite subkulturelle Geflecht Berns ist RaBe eine grosse Chance für die Vernetzung und Verständigung, nutzbar wäre das Radio vom Konzept her weit darüber hinaus.

Matthias Lauterburg, zur Zeit Berater des Lokalradios Förderband, hat als Branchen-Profi den RaBe-Kurzversuch aufmerksam verfolgt. «Das Kernproblem, das ich für RaBe sehe», kommentiert er, «ist die sehr starke Macherorientierung: Primär interessiert, was rausgelassen wird, nicht, ob es auch irgendwo ankommt. Radio ist aber ein Massenmedium, das unadressiert in die Breite sendet. RaBe hat insofern das gleiche Problem wie Radio Loa in Zürich. Von den politischen Inhalten her, die es vertritt, müsste LoRa ja – gemessen an Wahl- und Abstimmungsergebnissen – etwa fünfzehn Prozent der Leute erreichen. Solange es nur ein bis zwei Prozent erreicht, läuft etwas falsch.»

Von solchen Prozentrechnungen hält Katrin Rieder, Mitglied der RaBe-Programmkommission, nicht nur deshalb wenig, weil ihr Zielpublikum Umfragen häufig boykottiert und AusländerInnen gar nicht berücksichtigt werden: «RaBe ist eben kein Berieselungs-, sondern ein Einschaltradio, das man dann hört, wenn’s einen interessiert. Wir haben in diesen Tagen aus dem Publikum sehr viele gute Rückmeldungen bekommen. Bei den Machern und Macherinnen herrscht zur Zeit eine richtige Radio-Euphorie. Immer noch melden sich neue Gruppen und Einzelpersonen, die beim definitiven Betrieb unbedingt mitmachen wollen. Und wenn wir gesehen haben, mit welcher Freude und Begeisterung die Leute vom LoRa, die uns in der Technik unterstützt haben, auch heute noch arbeiten, dann hat das einfach aufgestellt.»

Für den definitiven Betrieb werden im Moment sechs bis zwölf Stunden Eigenproduktionen pro Tag diskutiert; zu fünfzig Prozent ist die Sendezeit für Beiträge von Frauen reserviert. Zuvor müssen die RaBe-MacherInnen jedoch zwei Probleme lösen: Einerseits sind um die 50’000 Franken nötig für eine eigene Studioeinrichtung (der Kurzversuch wurde vor allem mit gemietetem Material bestritten), andererseits muss das Bundesamt für Kommunikation die definitive Konzession erteilen. Schlecht stehen die Chancen nicht: In seinem Vernehmlassungsbeitrag zur UKW-Sendernetzplanung hat sich der Regierungsrat des Kantons Bern letzte Woche für einen dritten Lokalradiosender in Bern ausgesprochen. Allerdings möchte er damit vor allem die in Bern lebenden Romands und Ticinesi angesprochen sehen. Diese haben sich bisher nicht für RaBe interessiert.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5