Grilliert à la mode du Chef

«Ich muss dich leider doch entlassen.» Das sagte der «Bund»-Chefredaktor Hanspeter Spörri am letzten Freitagnachmittag nacheinander zu zweien seiner langjährigen Redaktoren. Zwar hatte er ihnen bereits Ende August gekündigt, danach aber gesagt, es gebe einen «Vorentscheid», den Stellenabbau mit Pensenreduktionen durchzuführen: «Wenn das gelingt, werde ich die Kündigungen zurücknehmen».

Dies sagte Spörri in einem Telefoninterview, das er aus Norddeutschland gab, wohin er sich zur Erholung zurückgezogen hatte. Während seiner Abwesenheit schauten in Bern die kühlen Buchhalter des Mutterhauses, der Espace Media Groupe zum Rechten. Unter das Espace-Dach hatte sich der «Bund» nach mehreren schwer defizitären Jahren auf das Jahr 2004 hin gerettet. Seither bildet er mit dem zweiten Blatt der Gruppe, der «Berner Zeitung» (BZ), das so genannte «Berner Modell»: die BZ als breite Forumszeitung, der «Bund» als «Qualitätszeitung», geleitet von einem einzigen Verlag, massgeblich finanziert durch ein Inseratekombi.

In Spörris Abwesenheit geschah Folgendes: Insgesamt achtzehn RedaktionskollegInnen zeigten sich bereit, ihre Pensen zur Rettung der beiden gekündigten Stellen zu reduzieren. Die Espace-Buchhalter nahmen diese Solidaritätsaktion zur Kenntnis, stellten aber Bedingungen. Um ihr Sparziel nicht zu gefährden, sollten all jene, die zur Reduktion ihres Pensums bereit waren, eine Erklärung unterschreiben, dass sie dies «auf eigenen Wunsch» und innerhalb von weniger als zwei Monaten tun würden. Der Hintergedanke: Espace wollte verhindern, dass die Verzichtenden Ansprüche an den Sozialplan geltend machen könnten, der in diesem Tagen mit dem Berufsverband Impressum und der Gewerkschaft Comedia ausgehandelt wurde. Nötig wurde dieser Sozialplan, weil auch auf der BZ-Redaktion sechs Kündigungen ausgesprochen worden waren.

Diese Erklärung zu unterschreiben, weigerten sich nun aber die achtzehn «Bund»-RedaktorInnen. Stattdessen warteten sie auf den Abschluss der Sozialplan-Verhandlungen, die am 20. September mit einem Erfolg endeten: Der Plan sieht vor, dass RedaktorInnen, die Hand zu Pensenreduktionen bieten, ebenfalls Leistungen beanspruchen können. Damit schien die Sache für die «Bund»-Redaktion gewonnen, umso mehr, als dieser Passus laut Comedia-Zentralsekretärin Stephanie Vonarburg, von der Espace-Delegation in den Sozialplan eingebracht worden war.

Tags darauf fand eine Sitzung des Verwaltungsrats der Bund Verlag AG statt, in der allerdings Espace-Leute das Sagen haben. Das Gremium nahm zur Kenntnis, dass die Frist zur Unterzeichnung der ominösen Erklärung verstrichen war und bestätigte die von Spörri ausgesprochenen Kündigungen. Der desavouierte Chefredaktor sieht sich heute als Opfer. Er sei, sagt er, in dieser Auseinandersetzung, sagt er, «von beiden Seiten grilliert» worden.

Am Tag nach der Verwaltungsratssitzung erschien dann zur «Bund»-Ressortleitersitzung, an der ein neues, effizienteres Redaktions-Betriebssystem vorgestellt werden sollte, überraschend Espace-Verlagsdirektorin Franziska von Weissenfluh mit zwei Vertretern der deutschen PCS-Consulting – einer Firma, die zur Zeit auch die BZ auf Effizienz trimmt. Das Zauberwort der Stunde heisst «Produktivitätsgewinn». Auf Deutsch heisst das: Mit besseren Maschinen braucht es noch weniger Personal, um eine Zeitung zu machen.

Das Espace-Mutterhaus hat gezeigt, was es vom traditionell bildungsbürgerlich betulichen Betriebsklima beim «Bund» hält. Jetzt regiert auch dort, wie es sich für eine Espace-Zeitung gehört, die Angst. Schon wird kolportiert, die PCS-Consulter bereiteten vor, den «Bund» auf 50 Vollstellen zu reduzieren – derzeit hat die Zeitung noch deren 63. Vor dem Hintergrund der weiter sinkenden Inserateeinnahmen könnte der Auftrag an die Effizienzspezialisten freilich auch anders lauten. Zum Beispiel so: Suche und beschreibe die Stärken und Schwächen der beiden Redaktionen von BZ und «Bund» im Hinblick auf eine Monopolzeitung. Das wäre dann das Ende des «Berner Modells».

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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