«Umweltschutz heisst mehr Investitionen»

Work: Angenommen, der WWF hätte nach dem Hochwasser vom August die Kompetenz, ein Investitionsprogramm zum Hochwasserschutz zu beschliessen: Wo würde er ansetzen?

Hans-Peter Fricker: Bei der Renaturierung der Flüsse, bei einer nachhaltigen Waldpflege und bei der Klimapolitik.

Renaturierung der Flüsse?

Viele Flüsse fliessen heute in zu engen, begradigten Betten, die den Wasserfluss beschleunigen. Renaturieren heisst, dem Fluss wieder ein grösseres Bett geben und mit Auenstreifen, also mit Wald- und Buschflächen, mit Ried oder Moor zu flankieren. In solchen Auen wird Hochwasser wie von einem Schwamm aufgesogen und erst verzögert wieder abgegeben. Beispiel: Zwischen dem Kanton Zug und Mellingen (AG) ist die Reuss zum Teil renaturiert worden. Letzte Woche sind bis zu 1050 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in diesen Flussabschnitt hineingeflossen. Bei Mellingen flossen trotzdem nie mehr als 800 Kubikmeter vorbei. Einen Fünftel des Wassers haben die Auengebiete also zurückbehalten.

Es wird also schon heute renaturiert.

Mit einem Bundesbeitrag, der jährlich für zehn bis zwanzig Kilometer reicht. Sinnvoll und wünschbar wäre aber die Renaturierung von rund 10000 Kilometern. Rechne.

Sie haben als zweites die Waldpflege erwähnt. Tatsächlich hat an vielen Orten das Schwemmholz letzte Woche Wasser gestaut und die Schäden vergrössert.

Hier gibt es einen gewissen Zielkonflikt zwischen dem Hochwasserschutz und der Waldpflege. Wir wollen, dass gewisses Holz liegen bleibt, weil sich das eignet für die Ansiedlung von Insekten, Pilzen, Gräsern und so weiter. Dies kann dazu führen, dass ab und zu ein Stamm in ein Flussbett fällt. Andererseits wollen wir keine Urwälder. Wir wollen eine nachhaltige Nutzung des Waldes, nur so bleibt der Wald gesund. Sorgen macht mir die Revision des Waldgesetzes, die zurzeit im Gang ist. Die Tendenz ist klar: Die Bestimmungen für die nachhaltige Waldpflege sollen gelockert und eine kommerziellere Nutzung ermöglicht werden, was dazu führen wird, dass in der Tendenz der Wald zum Teil übernutzt und zum Teil ganz sich selbst überlassen werden wird. Sorgen macht mir auch, dass allein im Rahmen des Entlastungsprogramms ’03 im Bereich Schutzwälder 42 Millionen Franken gestrichen worden sind.

Als drittes nannten sie die Klimapolitik. Was fordern Sie hier?

Während man beim Hochwasserschutz und bei der Waldpflege kurzfristig handeln kann, betrifft der Klimaschutz die Langfristperspektive. Nötig ist hier, dass das CO2-Gesetz endlich umgesetzt wird. Dass die Abgabe auf Treibstoff eingeführt wird. Und dass die Bevölkerung aufgeklärt wird darüber, dass die Schweiz Strom aus klimaschädigenden Öl-, Gas- und Kohlenkraftwerken importiert und es deshalb wichtig ist, beim Kauf von Haushalt- und Elektrogeräten auch auf deren Energieverbrauch zu achten.

Gewerkschaften sind traditionell technologiegläubig. Was antworten Sie Gewerkschaftsleuten, die sagen: Entweder Wirtschaftsaufschwung oder Umweltpolitik, beides gehe nicht?

Dass sie Natur- und Umweltschutz nicht gegen die Arbeitsplätze ausspielen sollten. Das tut schon die politische Rechte. Umweltschutz heisst häufig Investition, heisst Innovation, heisst neue Technologien, die sich auch im Ausland gut verkaufen lassen. Ich verstehe gut, dass die Gewerkschaften sensibel sind im Bereich der Arbeitsplätze und im Bereich der Sozialversicherungen, die nicht mehr finanziert werden können. Aber das heisst nicht, dass man gleichzeitig auf den Umweltschutz verzichten muss. Im Gegenteil: Im Umweltschutz stehen Investitionen an, die beschäftigungswirksam sind.

Was sollen die Gewerkschaften also tun?

Die Gewerkschaften sind grosse Player. Sie können mithelfen, das Bewusstsein zu schärfen. Gerade auch im Bereich der Energiegewinnung und der Energieeffizienz: vom Verzicht auf den Stand-by-Modus bis zum Hausbau im Minergie- oder Minergie-P-Standard. Und was die Gewerkschaftsspitzen betrifft, die politisch agieren: Uns hilft es sehr, wenn sie die SP, die Grünen und die motivierten Bürgerlichen unterstützen, Umweltpolitik überhaupt wieder auf die nationale Traktandenliste zu setzen.

Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form. Hier wird die vollständige, von Fricker autorisierte Version des Textes dokumentiert.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5