Holztulpen für Blocher

Beim Zollübergang Weil-Otterbach steht an der Freiburgerstrasse das Empfangszentrum, die erste Station der Asylsuchenden im gelobten Land – in diesen Tagen nur zur Hälfte ausgelastet. Hundertfünfzig Meter zurückversetzt im verschneiten Acker steht daneben hinter ausbruchsicherem Verhau ein zweistöckiger Betonbau: Das ist die letzte Station, das baselstädtische Ausschaffungsgefängnis Bässlergut.

Der bisher einzige Ausbruchsversuch habe beträchtlichen Sachschaden verursacht, aber rausgekommen sei niemand, sagt Max Menzi, der Leiter des Gefängnisses, der bei der Führung vorausgeht und erzählt: «Die Verhinderung von Entweichungen gehört zu unserem Auftrag. Wir haben die Leute zu inhaftieren, die aus einer anderen Strafanstalt kommen oder auf der Strasse verhaftet worden sind. Hier gilt starke Abriegelung gegen aussen und offenes Regime drinnen. Zur Verfügung zu stellen haben wir die Leute für Befragungen, Gerichtsverhandlungen und für die Ausschaffung.» Nötig geworden sind Gefängnisse wie das Bässlergut durch die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Hierher kommen verurteilte AusländerInnen nicht wegen ihres Delikts, sondern weil sie nach der Strafverbüssung keine gültigen Papiere mehr haben. Und auch, wer nie ein Delikt begangen hat, kommt hierher, wenn die Papiere nicht stimmen, und die Behörden den Verdacht haben, man wolle untertauchen.

Kalfaktoren und Pekulium

Durch eine Tür neben dem Kommandoraum betreten die Auszuschaffenden das Gefängnis. Dahinter ist ein Gang mit mehreren «Vorzellen»: fensterlose Räume mit Sitzbänken und einer Stehtoilette. Einige Türen weiter die «Eintrittskontrolle»: Hier findet die Leibesvisitation statt, die Häftlinge werden fotografiert, ihre persönliche Habe geröntgt. «So finden wir immer wieder verbotene Gegenstände oder Ausweise und Geld», sagt Menzi. Im Effektenraum daneben warten diese Gegenstände in sauber ausgerichteten Plastikbehältern auf die Ausschaffung ihrer Eigentümer und Eigentümerinnen.

Mit Badge und Schlüssel öffnet Menzi Tür um Tür. Im ersten Stock liegt die Küche: Hier wird das Essen, das eine Catering-Firma liefert, in Portionen aufgeteilt und in die vier Zellentrakte gebracht. Die beiden Schwarzen in roten T-Shirts, die in der Küche Aluminiumbehälter putzen, bezeichnet Menzi als «Kalfaktoren», als Aufsehergehilfen: «Ohne solche Leute würde kein Gefängnis funktionieren.» Das Menu heute: Hasenbraten, Polenta und grüne Bohnen.

Im Vorraum vor dem Zellentrakt 1 hängt ein Telefonapparat an der Wand. Von hier aus können die Insassen telefonieren, in den ersten Tagen gratis, danach zahlen sie mit ihrem Taschengeld (fünf Franken pro Tag) oder dem Pekulium, das sie für die Arbeit in der Werkstatt erhalten (bis zwanzig Franken pro Tag). Von hier aus sollen sie gültige Reisepapiere und so ihre Ausschaffung organisieren.

Im Gang des Zellentrakts sind die Wände blau, Boden und Zellentüren grau, Letztere jetzt, nach dem Mittagessen für zwei Stunden verschlossen. Im Gegensatz zum Empfangszentrum nebenan liegt die Auslastung im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut an der obersten Grenze. Bei der Eröffnung des Gefängnisses im Oktober 2000 wurde seine Kapazität mit 48 Plätzen angegeben. Heute beträgt der täglich wechselnde Bestand 82. In der Viererzelle, die Menzi öffnet, stehen vier Kajütenbetten.

Zwei Aufseher kommen durch den Gang, öffnen eine Einerzelle, der eine ruft: «Zusammenpacken!», ein Mann in Jeans und schwarzer Lederjacke tritt heraus. Vielleicht wird er aufs Flugzeug gebracht, vielleicht der Fremdenpolizei des Kantons zugeführt, die für seine Ausschaffung zuständig ist.

Für die anderen Insassen im Trakt 1 wird um 13.45 Uhr «Zellenaufschluss» sein: Wenn nicht gearbeitet wird und keine Befragung angesagt ist, können sie sich frei bewegen – eine Erleichterung im Vergleich zu anderen Gefängnissen. Geöffnet sind für sie auch die beiden gitterartig überdachten Spazierhöfe, in denen ein bisschen Schnee liegt.

Auf dem Weg zur Werkstatt erzählt Menzi von einer Umfrage, bei der Insassen beantworten mussten, ob sie hier etwas tun könnten, was zuhause nicht möglich sei. 48 von 50 hätten gesagt: arbeiten. «Die Arbeit ist das Beste, was das Bässlergut den Leuten bieten kann. So verdienen sie ein bisschen Geld, sind abgelenkt und kommen auf andere Gedanken.» Trotzdem komme es vor, dass sich Insassen in ihrer Freizeit selber verletzten, weil sie sich so eine Verbesserung ihrer Lage erhofften.

Ein Geschenk für alle Gäste

In einem Nebenraum der Werkstatt werden Holztulpen hergestellt. Die Häftlinge schleifen quaderförmige Rohlinge maschinell zu stilisierten vierblättrigen Blütenkelchen, bemalen und befestigen sie auf einem feinen Holzstecken, durch den sie schliesslich ein stilisiertes Blatt aus durchbohrtem Sperrholz schieben. Die Tulpen seien begehrt, sagt Menzi. Die meisten verwende er bei Besuchen als Repräsentationsgeschenke.

Im zweiten Stock liegt das Krankenzimmer, in dem eine sanitarische Eintrittsmusterung stattfindet und Krankheitsfälle triagiert werden: Wo nötig zieht man einen Arzt bei, der je nachdem eine Spitaleinweisung verordnet. Daneben liegt der kleine Gerichtssaal für die Befragungen und Verhandlungen. «Dass der Richter ins Haus kommt, hat den Vorteil, dass die Insassen nicht gebunden werden müssen», sagt Menzi. «Handschellen machen aggressiv.» Aber was ist eine menschliche Geste im Vollzug gegen die unmenschliche politische Vorgabe der Zwangsmassnahmen? Darüber zu diskutieren gehört nicht zu Menzis Pflichtenheft.

Auf dem Weg zurück zum Ausgang liegt im Parterre der jetzt leere Besuchsraum, mit Sichtschutz zum Innenhof. Ein Beziehungszimmer für intimen Kontakt gebe es hier nicht, sagt Menzi. Trotzdem sei der Aufsichtsjob anspruchsvoll, der in der Glaskabine in einer Ecke des Raums wahrgenommen wird. Hier brauche es Feinfühligkeit und Nerven, «gerade bei letzten Treffen vor der Ausschaffung».

Zurück in Menzis Büro liegt das gleiche Geschenk bereit, das am letzten Freitag bei seiner Stippvisite auch Christoph Blocher erhalten hat: ein Strauss bunter, hölzerner Tulpen. Blocher hat Empfangsstellen und Ausschaffungsgefängnisse in Zürich und Basel besucht und danach verlauten lassen, die Besuche hätten ihm «die Dringlichkeit eines verschärften Asylgesetzes» bestätigt.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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