Abschied von Hans Boesch

Anfang der sechziger Jahre gehörte er neben Peter Bichsel, Hugo Loetscher oder Otto F. Walter zu jenen Autoren, die die «Befreiung» der Deutschschweizer Literatur «vom Provinz-Alptraum» bewerkstelligten (Dieter Fringeli). Dennoch gehörte er nie zur Schweizer Literaturprominenz: «Dafür war er zum einen viel zu bescheiden, zum anderen fehlte ihm vor der Pensionierung 1989 für umtriebiges Networking im Literaturbetrieb die Zeit» (WoZ 20/2003). Dass er seit einiger Zeit an einer Krebskrankheit litt und deshalb Lesungen absagte und die Einladung zu den diesjährigen Literaturtagen ablehnte, wusste man. Nun ist er am 21. Juni im Zürcher Kantonsspital gestorben.

Hans Boesch (*1926) wuchs in Frümsen-Sennwald im Rheintal auf und begann am Technikum in Winterthur Ingenieur zu studieren. Den Abschluss des Studiums trotzte er schweren Erkrankungen ab (Paratyphus und Tuberkulose [1942]; Typhus [1949]). In dieser Zeit begann er zu schreiben – zuerst Lyrik, 1957 erschien sein Erstlingsroman «Der junge Os».

Seit dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Boesch als Ingenieur zuerst beim Aufbau von Kali-Minen im Elsass, später als Verkehrsplaner des Kantons Aargau, seit 1970 als Mitglied des Instituts für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH in Zürich. Hauptarbeitsgebiet war der Themenbereich Stadt-Mensch-Mobilität (siehe hierzu die Essaysammlung «Die sinnliche Stadt», 2001).

Gleichzeitig schuf er als Schriftsteller seit den späten fünfziger Jahren ein Romanwerk, das ihn zum «grossen Erzähler» («Berner Zeitung», 24.6.2003) hat werden lassen. Im Zentrum stehen zwei Romantrilogien. Die erste – die Ingenieurs-Trilogie – besteht aus «Das Gerüst» (1960), «Die Fliegenfalle» (1968») und «Der Kiosk» (1978). Der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Antagonismus zwischen Technik und Natur entspricht hier die Versöhnung von «Raster und Ranke» als ästhetischem Prinzip.

Die zweite Trilogie umfasst die Romane «Der Sog» (1988), «Der Bann» (1996) und «Der Kreis» (1998). Entstanden ist – ausgehend vom ländlichen Milieu von Boeschs Kindheit und dem Protagonisten Simon Mittler – ein «Epochenroman, der der Schweiz zwischen 1940 und 1999 erzählerisch wie kaum ein anderes Werk dieser Jahre gerecht wird» («Bund», 24.6.2003). Mit «Schweben» ist in diesem Frühjahr Boeschs letzter Roman erschienen, eine Art Epilog auf diese Trilogie.

1971 hat Hans Boesch in einem Gespräch gesagt: «Das Schöpferische, auf das wir alle hoffen, ist selbst unerklärlich; obwohl das Zentrum unserer Arbeit, ist es uns selbst verborgen. Oder doch nahezu verborgen: Wir können es manchmal, ganz selten erahnen, vielleicht in fünf Jahren fünf Minuten lang.» Bei Boesch sind aus diesem Schöpferischen in fünfzig Jahren acht Romane geworden, die Bestand haben werden.

Der Beitrag erschien um einen Drittel gekürzt in der Spalte der Kurzmeldungen. Hier wird die vollständige Fassung dokumentiert.

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