«Werben für die Hilfswerke»

«Wenn in Davos das WEF stattfindet», sagt Daniel Hitzig, «weiss ich das, ohne zu Hause auch nur die Augen öffnen zu müssen. Im Zürcher Tiefenbrunnenquartier hört man nie mehr Lärm von Helikoptern als dann, wenn sie zwischen Kloten und Davos Taxidienst machen.»

Allerdings fährt Hitzig in den Tagen des Weltwirtschaftsforums Ende Januar für gewöhnlich selber ins Bündnerland: Ein Freund von ihm hat in Klosters ein Ferienhaus und lädt regelmässig eine Gruppe fortschrittlicher Leute ein zur dreitägigen kritischen Debatte um Fragen zur Weltwirtschaft. Aber dieses Jahr fährt er noch aus einem anderen Grund: Seit dem vergangenen Herbst ist er verantwortlich für die Kommunikation der entwicklungspolitischen Lobby «Alliance Sud». Sie arbeitet für die Schweizer Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks.

Als Ethnologe unterwegs

Das WEF sei nicht nur für die internationale Prominenz wichtig, sagt Hitzig, sondern auch für die Zivilgesellschaft, für Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Alliance Sud zum Beispiel. «Davos hat sich als Treffpunkt etabliert, um Leute kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und Projekte zu besprechen.»

Der wichtigere Anlass für Alliance Sud sei allerdings jeweils das Weltsozialforum, sagt Hitzig. «Aber von Fall zu Fall macht Alliance Sud auch in Davos bei Aktionen oder Gegenveranstaltungen mit.» Letztes Jahr zum Beispiel: Im Rahmen der Koalition «Recht ohne Grenzen» – einem Zusammenschluss von Schweizer NGO – baute man eine Pappfigur von Bundesrat Johann Schneider-Ammann auf, um an die zentrale Forderung dieser Koalition zu erinnern: Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen darauf verpflichtet werden, weltweit die Menschenrechte und die Umweltstandards zu respektieren.

In diesem Jahr versteht sich Hitzig in Davos eher als das, was auf der Bürotür seines Chefs Peter Niggli scherzhafterweise als dessen Beruf steht: «WEF-Ethnologe». «Keine schlechte Bezeichnung», findet Hitzig: «Bei den in Davos versammelten Mächtigen handelt es sich um ein eigenes Volk. Das gilt es zu kennen und zu studieren.»

Der Wechsel in den neuen Beruf war für Hitzig nicht selbstverständlich: Zuvor arbeitete er während rund fünfundzwanzig Jahren für die SRG, bei Radio DRS und Schweizer Fernsehen SF. Er sagt: «Ich bedaure sehr, dass die Debatte, was elektronischer Service public darf, soll und muss, nicht häufiger geführt wird.» Für ihn ist klar: Die demokratische Meinungsbildung ist auf die sachgerechte Vermittlung der Information durch journalistische Arbeit angewiesen.

Der Seitenwechsel zur PR

Als Angestellter einer Hilfswerke hat Hitzig nun aber in die Kommunikation gewechselt. Und die bleibt PR, selbst wenn sie im Dienst einer anderen Welt steht.

«Als ich nach 1980 in den Beruf einstieg», erzählt er, «galt Journalismus noch als hehr und edel, PR dagegen war pfui. Heute verschwimmen die Grenzen zwischen beiden Bereichen schon in der Ausbildung zusehends.» Als er dann mit 50 überlegte, noch einmal etwas Neues anzupacken und sich selbständig zu machen, war ihm klar, dass es keinen Markt mehr gebe für freien Journalismus. «Wer heute frei arbeitet, muss zwei Drittel seines Einkommens mit PR verdienen.»

In dieser Situation sei er aufgefordert worden, sich bei Alliance Sud zu bewerben. «Obschon das in gewisser Weise den verpönten Seitenwechsel zur PR bedeutete, habe ich mich schnell entschieden.» Seine Überlegung: «Die Arbeit von Alliance Sud ist dem Service public verwandt: Zwar versuchen wir, auf die Öffentlichkeit und die Politik Einfluss zu nehmen, aber nicht im Interesse eines Pharma- oder Rohstoffkonzerns, sondern als entwicklungspolitisches Kompetenzzentrum im Interesse der Menschen auf der südlichen Halbkugel der Welt.»

Thematisch befasst sich Alliance Sud mit Entwicklungs- und Klimapolitik, mit Welthandel sowie internationaler Steuer- und Finanzpolitik. Jedes Dossier liegt bei einem Experten oder einer Expertin, die die Themen setzen und die Inhalte formulieren. «Mein Job ist es, ihre Texte auf jene ‘Flughöhe’ zu redigieren, dass sie von Fachleuten und interessierten Laien geschätzt werden. Grundsätzlich geht es darum, unsere Themen wirkungsvoll in die Öffentlichkeit zu bringen.» So gesehen leitet er nun eine entwicklungspolitische Fachredaktion, die ihre Arbeit in den Leitmedien der Schweiz zu platzieren versucht. Hitzig bereut seinen Schritt nicht: «Ich lerne täglich Neues, und die Themen, die Alliance Sud bearbeitet, sind unheimlich spannend.»

 

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Das Fernsehgesicht

Daniel Hitzig (* 1959) wächst in Uitikon Waldegg (ZH) auf und besucht in Zürich das Gymnasium. Während des Geschichts- und Publizistikstudiums beginnt er, als freier Journalist zu schreiben und veranstaltet Rockmusikkonzerte im Kulturzentrum Rote Fabrik. 1984/85 besucht er das Medienausbildungszentrum in Luzern und findet danach seinen Traumjob als Redaktor und Moderator beim DRS 3-Gefäss «Sounds!».

Zwischen 1992 und 1994 unterbricht er die journalistische Laufbahn. Als Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) geht er in Jerusalem, Gaza und Bagdad. Zurückgekehrt wechselt er in die «Tageschau»-Redaktion des Schweizer Fernsehens. Bis 2008 arbeitet er beim Fernsehen für verschiedene Gefässe als Redaktor, Moderator und Produzent. In den letzten Jahren hörte man seine Stimme als Gastgeber von «Persönlich» (Radio SRF 1).

Seit September 2013 arbeitet Hitzig als Verantwortlicher für Medien und Kommunikation bei der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud. – Hitzig ist Mitglied des Schweizer Syndikats Medienschaffender (SSM) und Präsident des Vereins, der das Medienmagazin EDITO+KLARTEXT herausgibt. Er lebt in Zürich, ist verheiratet und hat einen Sohn. Seine Hobbies: Kino, Lesen, Tennis, Wandern und Reisen.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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