XIII

 

Das Haus war eine Villa mit Jurasicht,

Ihr Mann Direktor einer Fabrik im Dorf.

Als neuer Schüler trat ich schuhlos

In den Salon, wie die Frau mich anwies.

 

Dort stand sie hoch und schlank auf dem steifen Bein,

– Beschädigt, wie mir schien, durch das Bauerndorf

Am Fuss des Hügels, wo ich herkam –,

Lächelte freundlich, als wär ich schuldlos.

 

Das «Cembalo» stand wie ein Altar im Raum,

Ein hoher Ständer trug hier die «Partitur»,

Die Flöten waren «Instrumente»,

Liedmelodien hiessen nun «Sonaten».

 

Ich staunte schüchtern, fühlte nicht, was ich sah:

In diesem Augenblick brach mein Schnauf entzwei,

Ward Atem; eine unbekannte

Scham frass sich bauchwärts: die falsche Herkunft.

 

Die hohe Frau wies sorgsam den Weg zur Kunst,

«Barocke Meister» säumten ihn säulengleich.

Ich wurde Edeldomestike,

Diente mit Eifer dem fremden Wohlklang.

 

Ich folgte der Verlockung, Musik zu spieln,

Die nur den noblen Reichen des Dorfs gefiel:

So würd ich selber reicher, schien mir.

Bald sang ich, auserwählt unter vielen,

 

Im Kinderchor vom Unschuldslamm Gottes: Gips

Und Gold der Klosterkirche und Bachs Musik

Als zukunftsdunkle Glücksverheissung.

Bubensopran hiess nun meine Stimme.

 

Die Flötenlehrerin unterstützte sanft

Und rühmte mein Bemühn. Doch die Scham sass tief.

Ich blieb der fleissbegabte Bub des

Dorfmusikanten, der jeden Freitag

 

Im Schulhaus biedre Blechmusik üben half

Und die Posaune sonntags in Uniform

Im strammen Taktschritt stolz durchs Dorf trug.

Das aber war nicht der Klang der Noblen,

 

Den ich verbissen übte. Der Achselschweiss

Roch nach dem Tier in mir. Fuhr die Tour de Suisse

Durchs Dorf, ging ich zur Flötenstunde.

Kinderspott weckte in mir Verachtung,

 

Verachtung für die Rennfahrer und für die,

Die jubelten am Strassenrand, heldengeil

Um ihre Mädchen warben und mich

Bonzenbewundernden Streber nannten.

 

Gimondi, Maurer, Anquetil, sagten sie.

Ich aber kannte Namen, die den Respekt

Der Noblen hatten: Bach, Vivaldi,

Mozart: Die Grenze erstand aus Namen,

 

Lief zwischen Elternhaus und der Villa hin

Und machte mich zum Grenzgänger. Wahrheitsdienst

Schien mir der soziale Aufstieg:

Strebend bemüht ging ich Jahre bergwärts,

 

Bis mir der phrasenblasende Atem brach

Und Schnauf mich zwerchfellflatternd erneut gebar.

Da flohn mich alle Melodien, die

Flöte sprach eine mir fremde Sprache.

 

Musik? Verstummt. Geblieben: Der Kampf um Na-

Men. Denn wer etwas anstrebt, braucht ihre Macht

Um seine Zwecke zu behaupten.

Darum misstrau ich mir, wenn ich schreibe.

 

[5.-11., 13., 18.2.1997]

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