Zwei, die aufbrachen, sich zu wehren

Auf den 23. Juni hat sich im Werk Mühlehorn am Walensee die Geschäftsleitung der Grob Horgen AG angemeldet. Mit der Ankündigung eines Stellenabbaus habe man rechnen müssen, sagt Urs Pfiffner, die Auftragslage sei schlecht. Was dann aber bekannt gegen wurde, war ein Hammer: Bis Ende 2004 sollen an den drei Standorten Horgen, Lachen und Mühlehorn 200 Stellen abgebaut werden, 20 in der Verwaltung, 100 in der Produktion, 80 weitere werden ausgelagert in das Grob-Werk in Budweis in Tschechien. Das Werk Mühlehorn mit 74 Beschäftigten wird geschlossen.

Ein trügerischer Boom

Erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hatten sich vier selbständige Firmen in Horgen, Lachen, Mühlehorn und Thusis zur «Grob Horgen AG» zusammengeschlossen –  spezialisiert auf die Herstellung von Zubehör für Webmaschinen. Im Jahr 2000 wurde die ganze Gruppe an den deutschen Groz-Beckert-Konzern verkauft. Ende August 2002 kündigte die Grob Horgen AG die Schliessung des Werks in Thusis an. Nun, zehn Monate später, war Mühlehorn dran.

Konsterniert sei man gewesen, sagt Pfiffner: Nach der Übernahme durch Groz-Beckert habe man in Mühlehorn den Auftrag bekommen, die Produktion der Walzdrahtwebelitzen, auf die das Werk spezialisiert ist, hochzufahren. Man richtete eine dritte Schicht ein und produzierte innert kurzer Zeit statt wie bisher 200 Millionen jährlich 360 Millionen dieser filigranen Metallstifte, die – eingespannt im Webschaft – in einer fein polierten Öse den Faden führen.

Dann brach innert kurzer Zeit die Nachfrage beim gesamten Webzubehör ein. Zur konjunkturellen Baisse kam in Asien die Krankheit SARS. Dadurch war über Wochen der wichtigste Absatzmarkt lahmgelegt. Zum übersättigten Markt kamen Währungsprobleme und der Preisdruck durch die internationale Konkurrenz, sagt Georg Schilter. Die Auftragslage verschlechterte sich weiter. In Mühlehorn strich man die dritte Schicht, auf die Temporären verzichtete man, die Festangestellten, die man eben angelernt hatte, versuchte man innerhalb der Gruppe zu versetzen. «Aber, überspitzt gesagt: Es gab zu viele Leute und keine Arbeit.»

Retten, was zu retten ist

Am 23. Juni hat die Geschäftsleitung in Mühlehorn ihren Schliessungsentscheid damit begründet, die Lohnkosten seien zu hoch, deshalb lagere man die in grossen Serien hergestellten ausgereiften Grob-Produkte in das billigere Tschechien aus.

Im Werk Mühlehorn gab es zu diesem Zeitpunkt einen einzigen SMUV-Gewerkschafter. Innert weniger Tage wurde eine Personalkommission aus dem Boden gestampft und Pfiffner zum Präsidenten gewählt. Sofort begann man mit den bestehenden Kommissionen in den Werken Lachen und Horgen zusammenzuarbeiten. Unterstützt von Kapsar Wohnlich, dem Smuv-Industrie-Sekretär der Region Zürich, unterzeichneten Vertreter aller drei Kommissionen und der Gewerkschaft bereits am 11. Juli eine Konsulationsvereinbarung mit der Geschäftsleitung der Grob Horgen AG. Sie sah vor, in weiteren Verhandlungen einen Sozialplan auszuarbeiten. Seit dem 29. Oktober liegt er nun vor. Für Pfiffner und Schilter ist klar: «Das Ergebnis ist gut dank dem Zusammenstehen der Personalkommissionen und der Unterstützung durch die Gewerkschaft Smuv.»

Hoffen auf die Konjunktur

Im wichtigsten Punkt blieb Geschäftsleitung jedoch hart: Die Produktionsverlagerung nach Budweis ist im Gang; ob sie im geplanten Rahmen zu Ende geführt wird, ist Gegenstand weiterer Gespräche. Die Geschäftsleitung schätzt heute, dass der Abbau um etwa 20 Stellen reduziert werden könne. Die ersten 94 Kündigungen sind aber bereits ausgesprochen – betroffen sind mehrheitlich Leute über fünfzig Jahren.

Das Verhandlungsergebnis aufgebessert hat schliesslich die patronale Grob-Stiftung. Diese ist verpflichtet, bei einer allfälligen Massenentlassung anteilsmässig zugunsten der Entlassenen eine Teilliquidation durchzuführen. Rund zwei Drittel des Geldes, das für die professionelle Unterstützung der Gekündigten, für Lohndifferenzzahlungen, Abgangsentschädigungen, Übergangsrenten und die Unterstützung von Sozial- und Härtefällen bereitgestellt wird, kommt von dieser Stiftung – der Rest von der Firma.

Das einzige, was verhindern kann, dass schliesslich 200 Stellen abgebaut werden, ist eine schnell anziehende Konjunktur. Pfiffner sagt, an der Textilmesse ITMA Ende Oktober in Birmingham habe es eine lebhafte Nachfrage gegeben, immerhin. Und Schilter fügt bei: «Wir sind immer die Ersten, die merken, dass die Konjunktur anzieht. Aber wir merken auch zuerst, wenns bergab geht.»

 

[Kasten 1]

Der Gärtner

Urs Pfiffner ist 46 und lebt mit Frau und zwei Kindern in Walenstadt (SG). Er arbeitet seit zwanzig Jahren im Betrieb von Mühlehorn (GL), der Fröhlich AG hiess, bevor er zur Grob Horgen AG kam. Er ist gelernter Maschinenmechaniker und arbeitet in der Qualitätssicherung der hier hergestellten Walzdrahtwebelitzen für Webstühle.

Er ist gerne als Wanderer oder Skifahrer unterwegs und bezeichnet sich als leidenschaftlichen Gärtner. Er ist Neumitglied der Gewerkschaft Smuv, wurde Ende Juni 2003 zum Präsidenten der Personalkommission in Mühlehorn gewählt und ist Mitglied der Delegation, die den Sozialplan ausgehandelt hat.

[Kasten 2]

Der Jogger

Georg Schilter ist 54 und lebt mit Frau und zwei Kindern in Altendorf (SZ). Er begann 1990 im Betrieb in Lachen (SZ), der damals noch Zipfel & Co. hiess und später zur Grob Horgen AG kam. Sein ursprünglicher Beruf: Maschinenmechaniker. Heute ist er Mitverantwortlicher für die Qualitätssicherung des Rohmaterials der ganzen Grob-Gruppe sowie für die Fabrikation im Betrieb Lachen.

Neben dem Wandern ist für ihn regelmässiges Joggen wichtig. Er ist seit 1965 Smuv-Mitglied, Präsident der Personalkommission in Lachen und Mitglied der Delegation, die den Sozialplan ausgehandelt hat. 

Mein Titelvorschlag hatte gelautet: «Wenn Litzen nach Tschechien gehen».

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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