Wie dünn darf Qualität sein?

 

WOZ: Der «Bund» steckt mitten in einer weiteren Sparrunde. Worum geht es?

Hanspeter Spörri: Im Vergleich zum ursprünglichen Budget muss fast eine halbe Million Franken eingespart werden. Eine strengere Ausgabendisziplin bringt einiges. Zusätzlich müssen rund drei Vollstellen eingespart werden.

Letzte Woche entliessen Sie zwei bestandene Redaktoren. Am Wochenende haben Sie dann gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur sda gesagt, die Einsparungen sollten ohne Entlassungen möglich sein. Was stimmt?

Angesichts der Kündigungen haben viele Kollegen und Kolleginnen gesagt, sie seien bereit, ihre Stellenprozente zu reduzieren. Wenn es auf diesem Weg geht, bin ich erleichtert.

Die Kündigungen sind aber noch nicht zurückgezogen.

Aber es gibt den Vorentscheid, dass wir den Stellenabbau mit Pensenreduktionen durchführen. Wenn das gelingt, werde ich die Kündigungen zurücknehmen.

Wenn die Geschäfte bei der Espace Media Group schlecht gehen, heisst das: Auch im 2005 setzt sich der Inseraterückgang fort.

Das ist so. Der Rückgang liegt in der Grössenordnung von zehn Prozent, hauptsächlich wegen der ausbleibenden Inserate der Grossverteiler. Das trifft die «Berner Zeitung» als breite Forumszeitung genau gleich wie den «Bund» als Qualitätszeitung. Auch die BZ baut wieder Redaktionsstellen ab. Damit das «Berner Modell» mit beiden Zeitungen unter einem verlegerischen Dach funktioniert, müssen aber beide auf ihre Art gut gemacht werden können.

Stichwort «Qualitätszeitung»: Seit der letzten Sparrunde wird das Spörri-Zitat kolportiert, wenn der Abbau weitergehe, könne der Anspruch einer Qualitätszeitung nicht mehr gehalten werden. Was sagen Sie heute?

Ich habe das sogar schon zweimal gesagt. Der «Bund» hat mehrere brutale Sparrunden hinter sich: Seit dem Boomjahr 2000 haben wir die Redaktionsstellen von 100 auf 64 reduziert. Auch diesmal sage ich: Dieser Abbau bringt uns noch nicht um, wenn wir bei der Quantität und nicht bei der Qualität abbauen. Aber klar: Schliesslich wird der Markt entscheiden, wieviel Quantität jene Leute wünschen, die eine Qualitätszeitung wollen.

Auch Espace-Verlagsleiterin Franziska von Weissenfluh und Espace-Verwaltungsratspräsident Charles von Graffenried sagen: Ob das «Berner Modell» weitergeführt wird, entscheidet der Markt.

Der Markt entscheidet immer – sogar über das Schicksal der WOZ. Bei Espace ist es so, dass das «Berner Modell» nie der Neuordnung der Subventionierung, sondern der ökonomischen Rettung der Zeitung dienen sollte. Ökonomisch ist der «Bund» dann gerettet, wenn er die Mittel, die er braucht, selber erwirtschaftet.

Und publizistisch? Wie lange hat das «Berner Modell» publizistisch Sinn?

Solange es auf dem Platz Bern unterschiedliche, gegensätzliche publizistische Stimmen ermöglicht. Wir konzentrieren uns mehr auf das Politische, die BZ möglicherweise mehr auf den Human Touch. Trotz der extremen Schwierigkeiten spricht vieles für die Weiterführung des «Berner Modells», es ist sowohl für den Lese- als auch für den Inseratemarkt attraktiver als eine einzige Zeitung. Aber es stimmt, es gibt den Punkt, wo man sagen muss: Jetzt geht es nicht mehr. Dieser Punkt ist zwar nicht erreicht, aber für mich ist im Moment auch keine Trendwende in Sicht.

Sehr zuversichtlich klingt das nicht.  

Ich bin tatsächlich nicht mehr so zuversichtlich, wie noch vor zwei, drei Jahren. Die Tageszeitungen müssen sich darauf einstellen, dass die Werbeeinnahmen auch nach einer konjunkturellen Erholung der Wirtschaft nicht mehr auf den Stand von 2000 steigen werden. Es gibt strukturelle Veränderungen, das Internet, das einen Teil der Inserate abgesaugt hat; «20 Minuten», das das Leseverhalten der jungen Leute verändert; oder der Bedeutungsgewinn der Sonntagspresse.

Steckt insofern nicht die Idee der Tageszeitung überhaupt in der Krise?

Tageszeitungen mussten sich auch schon früher neu positionieren, etwa als das Radio aufkam oder später das Fernsehen. Neu beantwortet werden muss die Frage: Welche Aufgabe hat eine Tageszeitung heute? Ich sage: Es geht um politische Analyse, um politische Kommentierung und Gewichtung sowie darum, einen Überblick zu geben. In diesem Sinn muss unsere Strategie sein, für unser Publikum in den nationalen, lokalen und internationalen Themen so gut und nützlich zu sein, dass es sagt: Doch, dieses Blatt braucht es.

Im Mai 2007 haben die Aktionäre der Espace Media Groupe die beiden Tageszeitungen «Bund» und «Berner Zeitung» dann an den Tamedia-Verlag nach Zürich verkauft.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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