Warten auf Miraculix

Nie war die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR) dem Ziel näher, die Reitschule politisch zu konsolidieren, als jetzt – nach dem Regierungswechsel in der Stadt Bern. Nie war sie andererseits näher daran, vor Waffengewalt und Drogendeal zu resignieren und der Stadt die Reitschule sang- und klanglos zurückzugeben. Deshalb haben sich die IKuR-AktivistInnen selber ein Ultimatum gestellt: Bis Ende Februar «sollen die Verhältnisse hier so sein, dass wir ein politisches und kulturelles Zentrum und nicht einen weitherum als Drogenumschlagplatz bekannten Ort beleben». Sonst wollen sie gehen.    

Samstag, 23. Januar 1993: Tausend IKuR-AktivistInnen und -SympathisantInnen machen eine unbewilligte Demonstration gegen Gewalt, Waffen und Deal und für die Reitschule als «anti-kommerzielles und aufmüpfiges Feld für verschiedenste Aktivitäten». Die Demo zieht über die Bubenbergkreuzung – einen neuralgischen Punkt des städtischen Verkehrs – und weiter Richtung Altstadt durch die Hauptgasse vom Loeb hinunter zum Bärenplatz (davon haben bisher die OrganisatorInnen nationaler Demonstrationen vergeblich geträumt). Nichts geschieht. Ein paar Polizisten regeln beflissen den Verkehr. Im Demonstrationszug zeigen sich zwei Mitglieder der Stadtregierung, Joy Matter und Therese Frösch.

Bereits am 4. Januar 1993, dem ersten Arbeitstag der Stadtverwaltung unter der neuen Rotgrünmitte-Regierung, hat sich eine Arbeitsgruppe aus städtischen Beamten auf dem Sekretariat der Reitschule gemeldet und die IKuR zum Gespräch geladen. Dieses verläuft kulant. Die Stadtregierung signalisiert nach jahrelanger systematischer Hinhalte- und Verhinderungspolitik gegen die IKuR plötzlich den Willen zur Zusammenarbeit und  veröffentlicht am 20. Januar ein Communiqué: «Der Gemeinderat hält fest, dass er die IKuR weiterhin als zuständige Gesprächspartnerin für die Nutzung des Reitschulareals betrachtet. Er unterstützt die IKuR in ihren Bestrebungen zur Aufrechterhaltung eines geordneten Betriebs. Vorschläge zur künftigen Nutzung der Reithalle wird er mit ihr zusammen diskutieren.» Immerhin.

Die TA’s auf dem Vorplatz

Am 17. Dezember wird auf dem Vorplatz der Reitschule unter nach wie vor ungeklärten Umständen eine Frau erschossen. Dieser Vorfall lässt den seit fünf Jahren schwelenden Konflikt zwischen verschiedenen Reitschulfraktionen eskalieren. Obschon sich die IKuR seit der Besetzung der Reitschule im Spätherbst 1987 in 14 Arbeitsgruppen, in einer Koordinationsgruppe und der Vollversammlung organisiert hat, obschon sie heute regelmässig Konzerte veranstaltet, eine Musigbar, ein Theater, ein Kino, eine Cafeteria, die Beiz «Sous le pont» und die Volxbibliothek betreibt und über einen Frauenraum, eine Werkstattgruppe, eine Druckerei und die Zeitschrift «Megafon» verfügt, ist sie in den letzten fünf Jahren zu wenig stark gewesen, um das ganze Reitschulareal zu besetzen und zu verteidigen. Zwar verfügt sie heute immerhin über einen Gebrauchsleihevertrag mit der Stadt, aber im Wohnhaus und auf dem Vorplatz haben sich zwei Gruppierungen breit gemacht, deren Interessen sich mit jenen der idealistisch motivierten IKuR-AktivistInnen nur zum kleinen Teil überschneiden und deren Autonomie-Begriff von Fall zu Fall immer vor allem das eine gemeint hat und meint: ungestört selbständig erwerbend in trüben Geschäften.

Im März 1990 warfen IKuR-Leute die Wohnhaus-BewohnerInnen aus der Reitschule, weil das Ausmass des Haschischdeals für den Betrieb untragbar geworden war. Eine nachhaltige Veränderung hat diese Aktion allerdings nicht gebracht, «weil wir nach der Räumung die Präsenz nicht halten konnten» (Flugblatt «einiger AktivistInnen»). Zwar leben seither neue Leute im Wohnhaus, aber ob die Connection nicht die alte geblieben ist, weiss niemand so genau.

Auf dem Vorplatz leben seit November 1987 «Obdachlose, Gestrauchelte und Gefallene, Entwurzelte», die sich zur Zeit «TA’s» nennen (für «Total-Alkoholiker» oder «Totaler Anschiss», respektive – wie IKuR-Leute gifteln –: für «Tragischer Ausgang»). Sie betreiben in einem vom restlichen Areal abgetrennten Vorraum eine Bar und leben in Wohnwagen, die sie auf dem Vorplatz zu einer Wagenburg zusammengeschoben haben. Für sie ist die Erschiessung der Frau ein «tragischer Unfall» (tödlicher Querschläger), die IKuR eine durch die Stadt korrumpierte «Interessengesellschaft für Konsum und unbenutzte Räume», die «ähnlich wie der totalitäre Staat» funktioniere. Das Vorgehen der IKuR jetzt ist für sie «ethnische Säuberung» (alle Zitate in diesem Abschnitt aus Vorplatz-Flugblättern).

Für die IKuR-AktivistInnen wiederum ist die Auseinandersetzung mit Wohnhaus und dem Vorplatz ein fünfjähriger Kleinkrieg mit Sabotageakten gegen Heizung und Stromversorgung, mit Nötigungen, Drohungen und Schlägereien (vgl. auch die IKuR-Stellungnahme S. 24 [siehe unten]). Am Tag nach der Erschiessung der Vorplatzbesucherin hat die IKuR deshalb ein Communiqué veröffentlicht: «Die steigende Gewaltbereitschaft und der stetig wachsende Drogenverkauf in der Reitschule zwingen uns zu handeln. Wir sind nicht länger bereit, Leute zu tolerieren, die unter dem Deckmantel der ‘Autonomie’ Herrschaft aufbauen, sich privat bereichern und andere mit ihrem gewalttätigen Verhalten aus der Reitschule fernhalten.»

Die zwei Ultimaten der IKuR

Seit dem 17. Dezember ist die IKuR auf Konfrontationskurs gegangen. Unter dem Slogan: «Keine Gewalt, keine Waffen, kein Deal!» rief sie zum «Boykott gegen Vorplatz und Wohnhaus» auf und stellte den Vorplatz-Leuten ein Ultimatum bis Ende Januar zu verschwinden. Diese sind am letzten Samstag von der Demoparole: «Vorplatzbewohner verpisst euch, niemand vermisst euch!» wenig beeindruckt worden und denken nicht daran, freiwillig zu gehen. 

Die IKuR hat aber gleichzeitig auch sich selber ein Ultimatum gestellt: «Wir wollen in den nächsten zwei Monaten versuchen, unsere Forderungen durchzusetzen. Wenn wir dies nicht schaffen, […] geben wir als BetreiberInnen die Reitschule definitiv an die Stadt Bern ab.» In der Tat läuft sie Gefahr, zerrieben zu werden zwischen der staatlichen Vertreibungspolitik gegen DrogenkonsumentInnen und jener Reitschulfraktion, die immer offener daran ist, handfest das Autonome Drogenzentrum durchzusetzen.

Sonntag, 24. Januar: Vollversammlung. Diskutiert wird das weitere Vorgehen der IKuR; entschieden wird noch nichts. Die Möglichkeiten lassen sich jedoch an einer Hand abzählen.

1. Die IKuR setzt ihr Ultimatum durch und räumt eigenhändig Vorplatz und Wohnhaus. Zu glauben, dies würde ohne Waffengewalt abgehen, ist optimistisch; zu glauben, das Areal sei nach erfolgreicher Räumung über Wochen gegen die Hinausgeworfenen zu verteidigen, naiv. Darüberhinaus: Was tun gegen eine Drohung, wie sie seit Anfang Januar auf die Türe des IKuR-Sekretariats gekritzelt ist: «Die Reitschule wird brennen»?

2. Die IKuR lässt räumen. Die Stadt unter der neuen Regierung hat signalisiert, dass sie sich – was neu ist – ans Gesetz halten will und Polizei nur noch dann schicken würde, wenn die IKuR als Vertragspartnerin sie rufen würde. Diese Zusammenarbeit mit der Polizei entspräche einer politischen Kehrtwende der IKuR. Abgesehen davon würde voraussichtlich auch nach der polizeilichen Räumung ein Kleinkrieg um die Verteidigung der Reitschule losgehen. Nur eine Untervariante hiervon ist, was die Arbeitsgruppe der städtischen Beamten bevorzugen würde: Der Gebrauchsleihevertag zwischen IKuR und Stadt wird geändert, die IKuR gibt den Vorplatz der Stadt zurück. Danach ist es Sache der Stadt zu handeln.

3. Die IKuR verlässt die Reitschule und versucht dezentral Räume «hereinzunehmen» und dort weiterzumachen. Aber wo ist der Raum für ein Kino, eine Beiz, ein Theater, eine Druckerei? Und wenn es ihn gäbe: Wie viele Häuser darf die IKuR besetzen, bis die neue Regierung die Polizei wieder gegen sie losschickt?

4. Die IKuR verlässt das Gelände kampflos und endgültig. Das wäre dann wohl das Ende der «Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule». Die Stadt Bern, die bereits signalisiert hat, dass sie die TA’s als Verhandlungspartner ablehnt, würde danach vermutlich das Areal eher früher als später räumen. Dann wäre Bern soweit wie im April 1982 nach der polizeilichen Schliessung des AJZ Reitschule: Natostacheldraht und patrouillierende Polizeigrenadiere. Und die AktivistInnen stünden wieder einmal vor einer «Nachbewegungsdepression».

5. Die IKuR schliesst als Mieterin die Reitschule für eine bestimmte Zeit, um neue Kräfte zu sammeln. Ob die IKuR in diesem Fall zu Kräften kommen oder ganz auseinanderfallen würde, ist offen. Sicher ist, dass dadurch die Probleme nicht gelöst, sondern lediglich hinausgeschoben würden.

Lenin statt Asterix!

An der Vollversammlung am Sonntag war’s wie im Gallierdörfchen von Asterix und Obelix (mit dem Unterschied, dass letztere in ihrem Dörfchen das Gewaltmonopol haben): Hier sind wir, und rundherum sind Feinde. Ein Sympathisant, der dazu aufrief, Leute wie ihn mehr einzubinden, wurde mit misstrauischen Voten auf Distanz gehalten. Den Förderverein IKuR (700 Mitglieder) oder kulturelle und politische Gruppierungen zur aktiven Solidarität aufzufordern, wurde erst gar nicht erwogen. Solidarität wurde zwar abstrakt gefordert, in der Praxis jedoch scheint für die IKuR der Rest von Bern suspekt zu sein. Ist von der Stadtregierung die Rede, so ist die alte und die neue Hans was Heiri; geht’s um die «bürgerliche» Presse, so ist alles gemeint, inkl. «Tagwacht» und WoZ (diese lassen sich allenfalls noch «instrumentalisieren»). Kurzum: Die Diskussion zelebrierte eine stark ritualisierte, radikal tönende Rhetorik irgendwo haarscharf auf der Grenze zwischen Revolutionsromantik und akutem Realitätsverlust.

Was tun? Als notorischer Reformist ging der Schreibende nach der Vollversammlung verunsichert nach Hause und holte sich Wladimir Iljitsch Lenin (kein Reformist) aus dem Büchergestell – «Der ‘linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus» – und schlug das Kapitel VIII auf, Lenins Kritik an den deutschen Kommunisten. Und siehe da: «Es ist doch unmöglich, dass die deutschen Linken nicht wissen, dass die ganze Geschichte des Bolschewismus, sowohl vor als auch nach der Oktoberrevolution, voll ist von Fällen des Lavierens, des Paktierens, der Kompromisse mit anderen, darunter auch mit bürgerlichen Parteien.» Was also die Bolschewisten, die ja im ideologischen Streit auch nicht gerade Wetterfahnen waren, zur Durchsetzung ihrer Interessen anwenden durften, sollte die IKuR nicht dürfen, nämlich lavieren, paktieren und Kompromisse schliessen, um eigene Interessen durchzusetzen?

Ist es möglich, dass die hundert IKuR-AktivistInnen ihre bewundernswerte fünfjährige Aufbauarbeit in der Reitschule abschreiben, um ihre von widersprüchlicher Realpolitik unbefleckten Politseelen zu retten? Bleibt wirklich nichts als darauf zu warten, dass Miraculix den Zaubertrank vorbeibringt?

 

[Kasten]

Interne Auseinandersetzungen in der Reitschule Bern

Das Ende eine Illusion?

Dem autonomen Experiment Reitschule droht das Ende. Seit einiger Zeit lähmen interne Konflikte den Betrieb. Die «Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule» (IKuR) zeigt im folgenden Beitrag die Ursachen der Auseinandersetzungen auf und begründet ihre Haltung.

Am 17. Dezember erschoss im Vorraum der Reitschule ein Bewohner der Wagenburg auf dem Vorplatz eine Frau – eine Gelegenheitsbesucherin der dortigen Bar. Damit erreichte die Anwendung von Gewalt in der Reitschule ihren traurigen Höhepunkt. Frühere Ereignisse wurden von uns – den in der IKuR (Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule) zusammengeschlossenen BetreiberInnen der Reitschule – verdrängt, weil sie entweder ausserhalb der Reitschule Opfer forderten oder glimpflich abliefen. Dieser Vorfall jedoch löste Entsetzen, Trauer und Wut aus und zwingt uns, endgültig mit dem Vorplatz zu brechen.

Neben der IKuR und ihrem vielfältigen Betrieb haben sich in der Reitschule seit ihrer Wiederbesetzung im Herbst 1987 Leute aus verschiedenen Randgruppen eingenistet. Sie betrachten sich – nicht ganz zu Unrecht – als Opfer einer Gesellschaft, deren Geldgier immer mehr Wohn- und Lebensraum zerstört. Sie profitieren aber nur von den Strukturen der Reitschule, ohne sich um unsere weitergehenden kollektiven Ansprüche zu kümmern.

Mit dem Tod der Frau ist für uns diese Situation unerträglich geworden. Uns allen ist klar, dass diese Vorplatzszene verschwinden muss. Wir geben uns zwei Monate Zeit, um die Verhältnisse grundlegend zu verändern. Wir können uns auf diesen Konflikt konzentrieren, denn nach dem Machtwechsel in Bern – Rot/Grün/Mitte-Mehrheit – ist die Reitschule von aussen nicht akut bedroht.

An vielen Vollversammlungen haben wir die Lage diskutiert und einige Beschlüsse gefasst.

• Wir haben die Leute vom Vorplatz aufgefordert, bis Ende Januar die Reitschule zu verlassen und sich anderswo eine Bleibe zu suchen. Wir setzen im Augenblick noch auf ihre Einsicht und haben uns noch nicht darauf festgelegt, ob wir sie nötigenfalls aus der Reitschule werfen wollen.

• Um den vielen wilden Gerüchten, die im Umlauf sind, entgegenzutreten und um unsere Ideen und Ziele einmal mehr einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, haben wir uns an die Medien gewandt. Wir hoffen, dass viele Leute für unsere Haltung Verständnis zeigen und sich mit uns solidarisieren.

• Dazu diente insbesondere die Demo vom 23. Januar, bei der wir gleichzeitig den BewohnerInnen des Vorplatzes zeigen wollten, in welch isolierter Lage sie sich befinden.

• Um den Anspruch der IKuR auf die ganze Reitschule zu demonstrieren und vermehrt auch durch die Nacht präsent zu sein, haben wir eine Nachtwache eingerichtet. Sie hat die Aufgabe, die Reitschule nach Veranstaltungsschluss zu schliessen und sie vor Anschlägen zu schützen. Zudem erhoffen wir uns davon eine grössere Verbindlichkeit untereinander und eine breitere Unterstützung, da auch Leute aus dem weiteren Umfeld der IKuR mitmachen.

Geduld und Ohnmacht – eine lange Geschichte

Grundlage des nun offen ausgebrochenen Konfliktes sind alte Verflechtungen zwischen der politisch-kulturellen Bewegung und Leuten aus sozialen Randgruppen. Im Laufe der Jahre entwickelten letztere einen «traditionellen Anspruch» auf den Vorraum der Reitschule, der ihnen auch lange Zeit nicht streitig gemacht wurde. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen, vor denen wir uns teilweise drückten, weil sie bei solchen Anlässen immer wieder auf Unterstützung aus ihrem recht gewalttätigen Umfeld rechnen konnten. Dazu kam noch die unklare Haltung der Stadt. Nie glücklich mit der gelungenen Besetzung, zog sie es vor, uns in der Reitschule zu belassen, anstatt ständigen Krawall einer Bewegung ohne Begegnungsort zu riskieren. Gleichzeitig nahmen wir ihr immer wieder soziale Probleme ab und waren mit den Auswirkungen dieser Probleme auf den Betrieb zeitweise so beschäftigt, dass wir kaum mehr nach aussen wirken konnten. Es war der Stadt auch recht, dass wir – unserer Haltung entsprechend – nie nach der Polizei riefen, der nicht verborgen blieb, welch schräge Geschäfte gegen unseren Willen von der Reitschule aus betrieben wurden. Nur so ist es zu erklären, dass sie während langer Zeit ein zentraler Drogenumschlagplatz werden konnte.

Dabei hat es in der Reitschule selber nicht an Versuchen gefehlt, Leuten aus der ständig wechselnden Vorplatzszene das Mitmachen zu ermöglichen. Doch schlugen diese alle fehl. Schliesslich betrieben sie im Vorraum ihre eigene Bar und sicherten sich so ihr Überleben.

1992 spitzte sich die Lage allmählich zu. Die Übergriffe auf den Reitschulbetrieb häuften sich. Ein letzter Versuch von uns, den Konflikt in Grenzen zu halten, scheiterte an ihrem Desinteresse. Stattdessen erhoben sie plötzlich Ansprüche auf weitere Räume und setzten sich damit auch zeitweise durch. Über die Köpfe der IKuR hinweg organisierten sie ein «Tattoo Festival», das darin gipfelte, dass die gesamte Reitschule von einer für viel Geld engagierten Rocker-Bande abgeriegelt wurde. Schliesslich sprachen sie bei Gemeinderat Josef Bossart vor und wollten mit ihm einen eigenen Vertrag für Vorplatz und Vorraum aushandeln.

Zwei Dinge machten uns in all den Jahren besonders zu schaffen: Sabotage und körperliche Gewalt. Oft ging dabei das eine mit dem anderen zusammen, und besonders in Phasen, in denen die IKuR selbst interne Schwierigkeiten hatte, wurden ihre Aktionen zu einer echten Belastung.

So sabotierten sie verschiedentlich Konzerte, indem sie die Stromzufuhr unterbrachen oder sogar den Sicherungskasten herausrissen. Eine Zeitlang mussten wir eine Verstärkeranlage mieten, weil sie unsere eigene unter fadenscheinigen Vorwänden abschleppten und schliesslich teilweise zerstörten. Zuletzt drehten sie uns auch noch die Heizung ab, die sich im Vorraum befindet.

Immer wieder drohten sie mit Gewalt, und oft machten sie diese Drohung wahr; aus nichtigem Anlass, wahllos gegen IKuR-Mitglieder und unbeteiligte BesucherInnen. Im Laufe einer solchen Auseinandersetzung erhielt einer aus der Veranstaltungsgruppe mehrere Messerstiche in den Rücken. Im Herbst, kurz vor dem alljährlichen Baufest, schoss dann einer von ihnen auf zwei IKuR-Leute, die gegen seinen Willen ein Transparenz aufhängen wollten. Der Vorfall verlief glimpflich und blieb ohne interne Konsequenzen. Leider, denn zwei Monate später erschoss er mit der gleichen Waffe die Frau.

Es muss weitergehen!

Der Betrieb in der Reitschule hat sich in den letzten fünf Jahren eingespielt. Viele Ideen sind umgesetzt worden. Die Reitschule ist zu einem wichtigen Begegnungszentrum weit über Bern hinaus geworden. Sie ist ein Versuch, die Interessen und Anliegen der BetreiberInnen und der BenützerInnen möglichst selbstbestimmt zu organisieren und sich kreativ und kritisch mit dem gesellschaftlichen und politischen Umfeld auseinanderzusetzen. Sie bietet Platz für vielfältige Aktivitäten (Frauenraum, Beiz, Volxbiblere, Kino, Theater etc.) Sie ist Arbeitsstätte für Leute, die sich an Projekten in Arbeitsgruppen beteiligen und sich damit einen Teil des Lebensunterhalts sichern können. Mit den jüngsten Entwicklungen sind diese Aufbauleistungen bedroht. Damit wir die Reitschule weiterbetreiben können, müssen wir aber nicht nur den momentanen Konflikt bewältigen. Wir müssen auch unsere Vorstellungen von Autonomie, Kollektivität, von nichtkommerzieller Kultur und politischem Widerstand neu bestimmen.

Wir lassen uns mit unserem Ultimatum auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die Zukunft der Reitschule ein und wollen nicht einfach zuschauen, wie fünf Jahre Arbeit von ganz vielen Leuten wegen einigen wenigen, die gar nichts begreifen wollen, kaputtgemacht wird. Weil wir wissen, dass unsere Kräfte begrenzt sind, weil die Reitschule auch nach aussen wirken soll und weil uns die Reitschule wichtig ist.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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