«Uns nimmt doch niemand mehr»

Nun erzählen sie wieder: Fredy Hadorn, der Impulsive, und Heinz Brönnimann, der Nachdenkliche. Im Frühjahr 2003 haben die beiden Maler der Garbani AG in Bern als Mitglieder der Gewerkschaft GBI für das Pensionsalter 60 im Baunebengewerbe gekämpft (Work, 4.4.2003). Später, im April 2004 haben sie mitgestreikt gegen die Malermeister, als diese trotz Versprechungen nicht einmal mehr vom Rentenalter 62 etwas wissen wollten.

Unterdessen ist Hadorn gut 64, Brönnimann 63. Hätten sie den Kampf gewonnen, wären sie beide längst pensioniert. Aber es ist anders gekommen. Heute erzählen sie nicht vom Alltag als Pensionierte, sondern davon, wie sie lernen mussten, sich «irgendwie durchzuschleusen».

Wie Hadorn auf die Strasse gestellt wurde

Am 29. September 2004 hat Fredy Hadorn von der Garbani AG die Kündigung bekommen: «Aus wirtschaftlichen Gründen…», hiess es im Kündigungsbrief. Die GBI Bern hat mit einem eingeschriebenen Brief an den Arbeitgeber protestiert: «Herr Hadorn ist bekannterweise eine wichtige Vertrauensperson der Gewerkschaft. Er hat sich sehr stark engagiert in den Vertragsverhandlungen, insbesondere für eine Lösung der frühzeitigen Pensionierung.» Für sie war die Kündigung «missbräuchlich». Aber wie hätte man rechtskräftig beweisen können, dass sie tatsächlich mit dem Engagement im Jahr zuvor zusammenhing? Hadorn, seit 1959 auf dem Beruf, seit 1995 für Garbani als Vorarbeiter auf zig Baustellen, stand mit 61 auf der Strasse.

Heute, vier Jahre später, sieht er endlich Licht am Ende des Tunnels: Im Dezember wird er 65 und pensioniert.

Wie Brönnimann auf die Strasse gestellt wurde

Am 25. August 2006 hat Heinz Brönnimann von der Garbani AG die Kündigung bekommen: «Die wirtschaftliche Marktsituation zwingt uns…», hiess es im Kündigungsbrief. Diesmal trifft es mehrere Kollegen gleichzeitig, ausser einem alle zwischen 56 und 61 Jahre alt. Die inzwischen gegründete Unia protestiert, «Work» berichtet unter dem Titel «Garbani wirft Alte raus». Die insgesamt zwölf Entlassenen gelten nicht als «Massenentlassung», Sozialplan gibt’s keinen. Brönnimann, seit 1961 auf dem Beruf, Garbanis geschicktester Mann, wenn es galt, mit guter Arbeit «abverreckte Püez» auszubügeln, stand auf der Strasse. 61 auch er.

Heute ist Brönnimann 63 und muss bei der Regionalen Arbeitsvermittlung pro Monat sechs Bewerbungen nachweisen: «Nicht einmal temporär habe ich die geringste Chance.»

Plötzlich nichts mehr wert

Ein trauriger Witz: Was denkt ein durchschnittlicher Malermeister, wenn die Gewerkschaft mit ihm über das Pensionsalter 62 verhandeln will? Er denkt offenbar: Billiger als eine Pensionierung mit 62 ist eine Entlassung mit 61. – Brönnimann erinnert sich, dass bei Garbani kurz vor den Kündigungen mehrere bedeutend Jüngere angefangen hätten: «Das habe keinen Zusammenhang, hat mir die Geschäftsführerin damals gesagt.» Dabei sei klar: Punkto Sozialabgaben sei einer wie er selbstverständlich um einiges teurer als ein Dreissigjähriger und könne nicht um soviel effizienter arbeiten als jener: «Darum geht’s – auch wenn man es natürlich abgestritten hat.»

Wenn Hadorn erzählt, wie er sich seit der Entlassung durchgeschlagen hat, geht es um Krankentaggeld und um Arbeitslosengeld; um Stempeltage und um die hoffnungslose Stellensuche, um AHV-Nachzahlungen und um die BVG-Risikoprämie, um einen zum Glück anständigen Betreuer bei der Arbeitslosenkasse und um den Formularkrieg.

Und wenn Brönnimann erzählt, dann sagt er, es gehe nicht nur ums Geld, sondern darum, «wi si eim abschüfele»: «Ich habe mich für diese Bude eingesetzt, mehr als ich gemusst hätte. Und dann bist du plötzlich nichts mehr wert. Wenn du so abgeschoben wirst, tut das schon weh.» Er habe seine Pensionierung mit 64 geplant, er habe gewusst, was er wollte: unabhängig sein und reisen. «Und dann passiert das.» Beide bestätigen, dass sie bis heute nicht allen Leuten im Bekanntenkreis gesagt haben, dass sie entlassen und seither arbeitslos sind. «Es ist deprimierend, wenn ich sagen muss, wie es wirklich ist», sagt Brönnimann. «Dann sage ich lieber irgendetwas.»

Am Letzten jemand sein

Ihre Kollegen aus dem Bauhauptgewerbe, in dem die vorzeitige Pensionierung erkämpft worden ist, seien sehr zufrieden, sagen sie: «Obschon die Übergangsrenten für sie auch Lohneinbussen bedeuten.» Aber diese Kollegen müssten nicht auf die Arbeitslosenkasse «theatern» gehen, um überhaupt noch leben zu können. «Sie waren jemand, als sie ihren Letzten gehabt haben. Wenn du dagegen den Schuh bekommst, musst du dich an deinem Letzten auch noch schämen», sagt Hadorn. Die Situation sei für ihn ähnlich wie jene eines IV-Bezügers, sagt Brönnimann. Auch von jenen erzählten die Politiker, dass man sie bloss zu vermitteln brauche, und dann hätten sie wieder Arbeit: «Aber dazu müssten die Unternehmer auch mitmachen. Und das tun sie eben nicht: Uns nimmt niemand mehr!»

Als Heinz Brönnimann und Fredy Hadorn vor fünfeinhalb Jahren im Work für die Frühpensionierung hingestanden sind, haben sie sich eine Lösung gewünscht, «von der wir auch noch profitieren». Klar werden sie am 30. November für die Eidgenössische Volksinitiative «Für ein flexibles AHV-Alter» stimmen, die eine ungekürzte Altersrente ab 62 vorsieht.[1] Denn sie wissen besser als die meisten, worum es geht. Aber selbst wenn die Initiative angenommen wird: Profitieren werden sie auch diesmal nicht.

[1] Die Initiative wurde mit 58,6 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.