Tamedia schenkt Bern zwei Zeitungsmumien

Gestern Nachmittag hat der Tamediakonzern in einer internen Informationsveranstaltung die Redaktionen von «Berner Zeitung» (BZ) und «Der Bund» über «Neue Organisation der Zeitungsredaktionen, Wachstumsinitiativen und neue Funktionsbereiche» – kurz: über das «Projekt 2020» – orientiert. Diese Formulierung haben die PR-Profis des Konzerns gewählt, um am Dammweg schonend zu kommunizieren, dass die Zeit gekommen sei, den Printmedienplatz in Bern zu liquidieren.

Die Eckdaten des Abbaus

Tamedia ist ein Medienkonzern mit Sitz in Zürich, der 2015 334 und 2016 122,3 Millionen Franken Gewinn gemacht hat. Seit Mai 2007 gehören Bund und BZ der Tamedia. Nun hat deren Verwaltungsrat auf Antrag der Unternehmensleitung beschlossen, bis 2020 61 Millionen Franken, bis 2025 minimal 126, maximal 172 Millionen Franken einzusparen.

Folgende ab 1. Januar 2018 in Kraft tretende Eckdaten, die BZ und Bund betreffen, wurden bekannt:

• Die Zeitungsteile Ausland, Inland, Wirtschaft, Sport und überregionale Kultur kommen für Bund und BZ gleichermassen aus den sogenannten Kompetenzzentren der zentralen Tamedia-Redaktion.

• Aus Spargründen sind die Redaktionen gehalten, aus der Zentrale möglichst ganze Seiten zu beziehen (so können die Kosten für ein neues Lay out gespart werden).

• Der BZ verbleibt die hausinterne Kommentarkompetenz in den Bereichen Inland und Wirtschaft, dem Bund nicht einmal das. Das Bund-Publikum kriegt ausschliesslich Tamedia-Kommentare zu lesen, die im Bereich «Ausland» grundsätzlich in München (bei der «Süddeutschen Zeitung») verfasst werden.

• Die Sportteile von Bund und BZ werden identisch. Statt Meinungen und Kommentare zu YB und SCB gibt’s ab 2018 die Tamedia-Wahrheit.

• Bei Wirtschaftsfragen bleiben den Zeitungen eine bis zwei Stellen im Bereich der Lokalberichterstattung.

• Die Kulturberichterstattung von Ostermundigen bis Bümpliz wird unverändert in Bern hergestellt. Für den Rest der Welt ist Zürich zuständig.

• Die Lokalressorts bleiben in der bisherigen Form erhalten.

«Es gibt keine Kündigungen»

Dass Bund-Chefredaktor Patrick Feuz faktisch zum Lokalchef degradiert wird und journalistische Schwergewichte wie der BZ-Mann Stefan von Bergen nun Lokaljournalisten werden sollen, ist das eine. Das andere ist die Frage, wie viele Tamedia-Angestellte in Bern aufgrund dieser Massnahmen überflüssig werden.

Laut Bund ist es so: «Es gibt keine Kündigungen.» Laut BZ ist es so: «Gemäss der [redaktionsinternen schriftlichen, fl.] Mitteilung sind aber mit der Ein­führung der neuen Organisation Anfang 2018 keine Kündigungen verbunden.» Laut Ueli Eckstein, Leiter des Tamedia-«Projekts 2020», ist es noch einmal anders. An der internen Informationsveranstaltung gestern Nachmittag gab er zuerst der Hoffnung Ausdruck, die Einsparungen durch «Fluktuationen» zu erreichen. Auf die Frage, ob es demnach nicht zu Kündigungen kommen werde, sagte er schliesslich: «Es wird per 1. Januar 2018 keine geben.» Niemand habe gesagt, dass es nicht zu Entlassungen kommen werde. 

Wer Ecksteins Sentenz im Raum so verstanden hat, man solle lieber beizeiten «fluktuieren» als sich bei Gelegenheit entlassen zu lassen, ist selber schuld. Wer umgekehrt mit einem Transparent gegen die bevorstehende Entlassungwelle auf die Strasse gehen wollte, würde sich lächerlich machen. Man wird zugeben müssen: In einem Medienkonzern wie Tamedia gibt es eben gewiefte Kommunikationsprofis (die besten arbeiten für die Konzern-PR).

Die Politik schaltet sich ein

In der parlamentarischen Politik reisst das Grüne Bündnis die anstehende Diskussion um Einheitsbrei oder Meinungsvielfalt an:

• Auf städtischer Ebene bereitet Stadträtin Stéphanie Penher eine dringliche Interpellation vor, die den Gemeinderat fragt, wie er «den Medienplatz Bern verteidigen [will], damit die BürgerInnen fundiert über politische Fragen informiert bleiben und sich dazu eine Meinung bilden können». Wissen will sie auch folgendes: «Wie schätzt der Gemeinderat die Gefährdung des regionalpolitischen Zusammenhalts ein (Kernagglomeration), wenn die Berner Bevölkerung nicht mehr über lokal wichtige, gesellschaftliche und insbesondere auch wirtschaftliche Entwicklungen informiert würde?» Eine gute Frage, die man nicht nur vom Gemeinderat, sondern auch von BZ und Bund beantwortet wünschte. Hallo, KollegInnen, gibt es euch noch?

• Auf kantonaler Ebene will Grossrätin Natalie Imboden mit einer Motion den Regierungsrat beauftragen, «beim Medienunternehmen Tamedia zu intervenieren, um vom grössten und finanzkräftigsten Schweizer Verleger die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt durch die Weiterführung von mindestens zwei voneinander publizistisch unabhängigen Tageszeitungen im Kanton Bern einzufordern». Zudem soll er prüfen, was für die «direkte Medienförderung» im allgemeinen und für die «direkte Förderung von Online-Medien» im speziellen getan werden könne.

Die Prognose sei gewagt: Sogar wenn der städtische Gemeinderat und der kantonale Regierungsrat in corpore an der Werdstrasse in Zürich vor dem Tamedia-Konzernsitz aufmarschieren würden, Nause Parolen brüllte und Schnegg ein Moli schmisse: Niemand kann die Tamedia-Konzernleitung daran hindern, jetzt die beiden Zeitungen der Stadt Bern auszuhöhlen bis auf die Produktetitel «Der Bund» respektive «Berner Zeitung» und auf das fürs Lokalkolorit absolut Unumgängliche.

Es ist höchste Zeit für eine aktive Medienpolitik auf dem Platz Bern. Hier ein Vorschlag für den Anfang deines politischen Engagements. Such Antworten auf die Frage: Wie informiere ich mich in ein, zwei Jahren schnell und kompetent, wenn es um politische Fragen geht, die meinen sozialen und ökologischen Lebensraum und meine Chancen auf ein gemeinsam anständiges Leben betreffen? Und wenn du eine Antwort hast, beginn mit anderen darüber zu reden. So beginnt Politik. Sie ist jetzt dringend nötig.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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