Sieg für Dr. Fontana!

Mit einem dürren Communiqué hat die Pressestelle der Universität Bern am 15. Juni den Entscheid der medizinischen Fakultät zum Begehren der Schriftstellerin Mariella Mehr, Fontanas Dissertation sei zu annullieren, bekanntgegeben: «Den Anträgen auf Einleitung eines Verfahrens zum Entzug des Doktortitels konnte keine Folge geleistet werden.»

Ebenfalls dieses Datum trägt der nicht veröffentlichte 18-seitige «Beschluss» der medizinischen Fakultät in der gleichen Sache, der von Dekan Max Hess gezeichnet worden ist. Ausgearbeitet worden ist er allerdings von der Dissertationskommission, die in dieser Sache aus folgenden vier bisher unerwähnt gebliebenen akademischen Koryphäen bestand: Alfred Krebs, Professor für Dermatologie und Venerologie; Hans Rudolf Lüscher, Professor für Physiologie; Peter Hotz, Professor für Zahnheilkunde und Marcel Soliva, Professor für galenische Pharmazie. Diese vier Herren haben Fontanas wissenschaftliche Erkenntnisse zur «Vagantensippe Xenos» gewürdigt und sind zu bemerkenswerten Schlüssen gekommen:

• ad. Fontana als «Dr. rufmord.» (vgl.WoZ 43/1988): Hierzu wird festgestellt, dass Fontana durch die Anonymisierung der untersuchten «Familie» in der Dissertation seinen diesbezüglichen Pflichten genügend nachgekommen sei. Es gebe ab und zu medizinische Dissertationen, die ausschliesslich auf Aktenstudium basierten. Dem Dissertant könne kein Vorwurf gemacht werden, dass er sich auf Angaben von Pro Juventute und amtlichen Stellen verlassen habe. Die Prüfung, ob Fontanas Quellen für die Betroffenen ehrverletzend oder rufschädigend seien, sei nicht Gegenstand der Abklärungen.

• ad. Fontana als «Dr. abschreib.» (vgl.WoZ 23/1989): Die Erkenntnisse der Expertise von Dr. Ruth Morgenthaler-Jörin, wonach die 22 kasuistischen Fälle der Dissertation Fontana (1967) bereits in der Diplomarbeit Schwegler (1958) weitgehend gleich aufgeführt seien, werden bestätigt: «Inhaltlich findet sich in 12 Fällen eine praktisch völlige Übereinstimmung mit der Diplomarbeit Schwegler.» Was noch lange nicht heisse, dass Fontana abgeschrieben hat: «Die häufige Übereinstimmung zwischen den Kasuistiken hängt vermutlich damit zusammen, dass den verschiedenen Arbeiten die gleichen Pro Juventute-Akten zur Verfügung gestanden haben.» Immerhin sei «zu tadeln», «dass die Arbeit Schwegler im Literaturverzeichnis der Dissertation Fontana fehlt», umsomehr als der Dissertant sich nicht die Mühe genommen habe, «für seine […] 1967 eingereichte Arbeit die rund 10 Jahre früher [von Schwegler, fl.] erstellte Kasuistik nachzuführen». Vermutlich vor allem, weil Fontana die 26 Druckseiten seiner Diss irgendwann selber abgetippt haben muss, kommen die vier unerschrockenen Dissertationskomissiönler zum Schluss: «Die Dissertation ist mit einem erheblichen eigenen Arbeitsaufwand entstanden und kann nicht als Plagiat bezeichnet werden.»

Punkt für Punkt widerlegen die Verteidiger der wissenschaftlichen Lehre die Behauptung, Fontana habe seinen Doktortitel alles in allem mit «unlauteren Mitteln» (Art. 45 des Universitätsgesetzes) erworben. Die WoZ dokumentiert daraus lediglich eine der argumentativen Rosinen: «Es bleibt schliesslich die Vorhaltung, die in der Dissertation gemachte Aussage: ‘Schliesslich mussten nochmals diejenigen Personen, die hier als kasuistische Fälle beschrieben sind und überall in der Schweiz wohnen, aufgesucht werden. Bei dieser Arbeit war mir eine Diplomandin der schweizerischen sozial-caritativen Frauenschule Luzern behilflich’ entspreche nicht der Wahrheit. – Tatsächlich könnte man aus diesen Sätzen beim Durchlesen der Dissertation vorerst annehmen, dass sowohl der Dissertant als auch Frau Schwegler in seinem Auftrag noch in den 60er Jahren Probanden aufgesucht hätten. In Wirklichkeit besuchte nur Frau Schwegler für die Erstellung ihrer Diplomarbeit […] Angehörige der Familie ‘Plur’ und ‘Xenos’ [Pseudonyme für die Sippe Mehr, fl.], und dies im Jahr 1958. Der Dissertant selbst hat keinen Sippenangehörigen ‘Xenos’ zu Hause besucht. Dieser Umstand hätte in der Dissertation unbedingt deutlicher ausgedrückt werden müssen. Wiederum kann jedoch aus dieser verwirrlichen und unpräzisen Aussage keine eigentliche Unlauterkeit im Sinne einer absichtlichen Täuschung herausgelesen werden.»

Nachdem der Berichterstatter sein Lachen wieder soweit unter Kontrolle hat, dass er weiterschreiben kann, möchte er es abschliessend nicht unterlassen, Doktor med. Benedikt Fontana zur Dissertationskommission zu beglückwünschen.

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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