Raumnot AKuT

Jugendliche AktivistInnen kämpfen in Burgdorf um ein Kultur- und Bewegungszentrum. Der besetzte Privatbesitz «Dälli» ist nach zwei Wochen geräumt worden. Nun wurde eine städtische Liegenschaft besetzt. In der Stadtverwaltung reibt man sich den Schlaf aus den Augen.

Bereits letzte Weihnacht hatten jugendliche Burgdorfer AktivistInnen aus dem Umfeld des Vereins «Alternativ Kultur Total» (AKuT) das «Dälli», das ehemalige Restaurant Dällenbach in der Nähe des Bahnhofs, für eine Nacht besetzt. Am 20. Mai 1988 reichte AKuT bei der Stadt eine Petition «zur Erhaltung des Hotel-Restaurants ‘Dällenbach’» ein, die von 544 Personen unterschrieben worden war. Die Idee: Das «Dälli» sollte für eine symbolische Miete Begegnungsort mit einer Beiz ohne Konsumzwang mit kleineren Konzerten und Obdachlosenschlafstellen werden. Die Antwort  des Gemeinderates (Exekutive) am 18. August war deutlich: «Es muss klar festgestellt werden, dass sich die Liegenschaft nicht im Besitze der Einwohnergemeinde Burgdorf befindet. […] Ein allfälliger Erwerb […] ist auszuschliessen. Auf die Forderung bezüglich der Liegenschaft ‘Dälli’ kann deshalb nicht eingetreten werden.» In der Tat gehört das «Dälli» der Aare Birs AG, der Tochtergesellschaft und Liegenschaftsverwalterin der National-Versicherung.

Am 7. Oktober besetzten Jugendliche das «Dälli» erneut und begannen damit, ein Kultur- und Begegnungszentrum einzurichten. Sofort kamen sie von verschiedenen Seiten unter Druck. Anwohner drohten mit dem Sturmgewehr wegen Lärmbelästigung; die Stadt vereitelte alle Versuche der BesetzerInnen, Strom in das «Dälli» umzuleiten; die berüchtigten Burgdorfer Teddys fuhren ein, drohten und prügelten und zerstörten elektrische und sanitäre Einrichtungen. Schliesslich liess der Gemeinderat Max Widmer verlauten, «dass sich der Hausbesitzer zu wenig um seine Liegenschaft kümmert» («Burgdorfer Tagblatt», 10.10.1988).

Dieser Wink mit dem Zaunpfahl galt der Aare Birs AG, ohne deren Anzeige die Polizei nicht einschreiten konnte. Die Firma hatte jedoch keine Eile. Nach wie vor ist ihre Baubewilligung für ein schönes neues Geschäfts- und Wohnhaus hängig, weil der Denkmalpfleger das «Dälli» als «klassizistisches Bauwerk» erhalten möchte.  Nicht, weil die Teddys begonnen hatten, eine Wand im «Dälli» herauszubrechen, sondern unter dem öffentlichen Druck stellte die Aare Birs AG den BesetzerInnen schliesslich ein Ultimatum zum Auszug. Am 1. Oktober räumte die Polizei die Liegenschaft: Gegen die vier zu diesem Zeitpunkt Anwesenden wurde ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs eröffnet.

Doch die AktivistInnen lassen nicht locker. Gleichentags haben sie an der Kronenhalde 3 eine seit langem leerstehende städtische Liegenschaft besetzt und erneut mit dem Aufbau eines Zentrums begonnen. Am letzten Dienstagnachmittag nun besuchte der städtische Liegenschaftsverwalter Peter Kreuchi das wiederbelebte Haus. Standhaft weigerte er sich, mit den BesetzerInnen zu reden und veranlasste, dass Wasser und Strom abgestellt wurden. Bei Redaktionschluss hirnten die Burgdorfer Stadtväter noch immer, ob sie nun am Ende die Bedürfnisse der Jugendlichen doch noch zur Kenntnis nehmen müssten.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5