Privatisierungskoller in Zug

«Unser Kantonsspital ist Service public». So heisst die kantonale Initiative, die die «Alternativen» nächsten Mittwoch in Zug lancieren. Noch vor Ostern sollen die nötigen 2000 Unterschriften beisammen sein.

Seit zehn Jahren hatte die Zuger Öffentlichkeit nichts mehr zu sagen, wenn es um ihr Spital ging: Damals plante man in Baar den Bau eines neuen Kantonsspitals. Das Kantonsparlament verabschiedete ein «Gesetz über das Zentralspital» nach der neoliberalen Mode: Obschon 93,75 Prozent der Aktien dem Kanton gehören würden, sollte das Spital eine privatrechtliche Aktiengesellschaft werden.

Dagegen ergriffen die Linksgrünen das Referendum: Es sei falsch, das Spital so zu organisieren, dass die Öffentlichkeit gegenüber dem Verwaltungsrat keine direkte Mitsprache habe. Ein Kantonsspital sei eine öffentliche, keine privatwirtschaftliche Angelegenheit. Diese Abstimmung ging verloren: 63,7 Prozent der Stimmenden wollten die Privatisierung.

Fehlstart im neuen Spital

Zehn Jahre später: In Baar steht ein nigelnagelneuer Bau. Bei Vollbetrieb wird im Sommer 2008 das Kantonsspital von Zug nach Baar gezügelt, inklusive Intensivstation. Im August kommen an drei Tagen der offenen Türe insgesamt gegen 25’000 Personen vorbei. Man freut sich ganz offensichtlich weitherum über das neue Spital, aber auch über das Personal und ihren Direktor Robert Bisig, die den Umzug ausgezeichnet gemeistert und trotz Startschwierigkeiten alles im Griff haben.

Alle sind zufrieden. Ausser dem Verwaltungsrat des Spitals. Denn er will parallel zum Umzug auch noch eine neue Strategie möglichst schnell durchdrücken. Man kennt das Lied: mehr Führung, mehr Kostenkontrolle, mehr ertragsstarke Leistungen, Einnahmenoptimierung. Zu deutsch: mehr Druck aufs Personal und weniger vom Service public.

Direktor Bisig bremst. Auf wenige Monate komme es nicht an, die Belastung des Personals mit der Inbetriebnahme in Baar sei enorm. Im übrigen betont er gegenüber der «Neuen Zuger Zeitung», was heute offenbar auch für einen Spitaldirektor nicht mehr selbstverständlich ist: «Ich bin keiner, der über Leichen geht.»

Am 19. November 2008 geht Bisig, wie er sagt, «motiviert» zu Arbeit. Am Abend ist er entlassen. Der Verwaltungsrat nennt keine Gründe. Später behauptet er vor dem Spitalpersonal, Bisig sei krank – und wird ausgelacht. Schliesslich gibt er zu, er sei der Meinung, Bisig schaffe die Umsetzung der neuen Strategie «wahrscheinlich nicht».

Antwort auf absurde Konstruktion

Die Reaktion auf diese Entlassung hätte sich der Verwaltungsrat anders gewünscht: Die öffentliche Unterstützung für den Entlassenen ist sofort enorm. Im Kantonsparlament deponieren innert zwei Tagen alle Parteien Vorstösse. Die Presse berichtet von Tag zu Tag. Die Kantonsregierung gibt den öffentlichen Druck an den Verwaltungsrat weiter. Dieser tritt geschlossen zurück und wird ersetzt.

Und die Alternativen Zugs entwerfen eine kantonale Initiative, die kurz und bündig fordert: «Das Gesetz über das Zentralspital vom 25. März 1999 ist so zu ändern, dass das Zuger Kantonspital eine öffentlichrechtliche Organisationsform hat.»

Der Kantonalpräsident der Alternativen, Nationalrat Josef Lang, sagt: «Das Grundproblem liegt in der absurden Konstruktion des Spitals: Es muss es sich leisten können, nicht gewinnorientiert, sondern nach gesundheitspolitischen Gesichtspunkten zu arbeiten.»

Die Initiative «Unser Kantonsspital ist Service public» wird neben den Alternativen von der CSP, vom Gewerkschaftsbund, von Unia, VPOD und Syna und dem Verband des Pflegepersonals (SBK) getragen.

Nur die Zuger SP hat noch ein Problem mit dem Service public.

Die Initiative «Unser Kantonsspital ist Service public» wurde am 28. November 2010 mit 74,3 Prozent der Stimmen abgelehnt.

 

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Stadt Aarau: Der Busbetrieb bleibt Service public

Was die Zuger für ihr Spital wollen, hat die Stadt Aarau mit ihrem Bus vorgemacht: Im Februar 2007 gibt der Kanton Aargau bekannt, dass er seine 11 Prozent am Aktienkapital des Busbetriebs Aarau (BBA) verkaufen will. Heute sei es nicht mehr so, dass eine Dienstleistung für die Öffentlichkeit qualitativ gut und bei guten Arbeitsbedingungen möglichst selbsttragend zur Verfügung zu stellen sei, sondern so: «Im freien Wettbewerb der Transportleistungen» sei es unerwünscht, gleichzeitig als «Eigentümer und als Besteller» aufzutreten.

Diese Argumentation leuchtet auch dem Parlament der Stadt Aarau ein. Es entschliesst sich deshalb seinerseits zum Verkauf der eigenen gut 32 Prozent der Aktien. Weitere Aargauer Gemeinden, die kleinere Aktienanteile halten, planen den Verkauf ebenfalls.

Die BBA soll also privatisiert werden. Jedoch: «Eine Stadt oder Region, die die Interessen der Bevölkerung effektiv vertritt, hat ihren eigenen Bus.» Das sagt ein parteiunabhängiges Komitee und lanciert deshalb eine städtische Volksinitiative mit zwei Forderungen: Zum einen soll die Stadt Aarau ihren Aktienanteil nicht verkaufen dürfen, zum anderen soll sie gehalten sein, allfällig auf dem Markt auftauchende Aktien des BBA zu Marktpreisen aufzukaufen. Damit wäre der Privatisierung ein Riegel geschoben.

Die Initiative kommt im März 2008 zustande, die Abstimmung findet am 21. September statt. Das Initiativkomitee erhofft sich zumindest einen Achtungserfolg mit 40 bis 45 Prozent Ja-Stimmen. Das Abstimmungsergebnis ist dann eine kleine Sensation: Für den Privatisierungsplan des Parlaments stimmen gerade 895 Stimmberechtigte, dagegen 2968 (76,8 Prozent). Der BBA bleibt Service public.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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