Noch weniger «Bund»

Die Tageszeitungen «Berner Zeitung» und «Der Bund» unter einem Verlagsdach: Das ist das «Berner Modell». Es hat den schwer defizitären «Bund» vor dem Zusammenbruch gerettet, gerät jedoch selber umso mehr unter Druck, je länger die Einnahmenkrise der Tageszeitungen andauert. Zwar betont Espace-Verlagsleiterin Franziska von Weissenfluh: «Das ‘Berner Modell’ ist erfolgreich. Wir stehen hundertprozentig dazu.» Aber zurzeit werden von Sparrunde zu Sparrunde die Ausgaben mit weiterem Personalabbau gesenkt – immerhin ist man bei Espace stolz darauf, dem Aktionariat mindestens so sehr wie dem publizistischen Auftrag verpflichtet zu sein.

Für 2006 zeichnet sich Folgendes ab:

• Der «Bund» fährt für das Jahr 2005 erneut ein Defizit ein. Für 2006 ist deshalb eine Budgetkürzung von 1 bis 1,5 Millionen Franken angekündigt, was einer Streichung von 10 bis 15 der zurzeit noch knapp 65 Stellen entspricht. Von Weissenfluh will diese Zahl nicht kommentieren, «da wir mitten im Budgetprozess stecken». Die von der «NZZ am Sonntag» kolportierten Zahlen kommentiert Chefredaktor Hanspeter Spörri auf dem Online-Portal «persoenlich.com» vorsichtig so: «Aus der Luft gegriffen sind die Befürchtungen nicht.»

• Die «Berner Zeitung» sagt von Weissenfluh, sei seit Jahren eine der erfolgreichsten Zeitungen der Schweiz und habe immer schwarze Zahlen geschrieben. Dass die Fortschreibung des Erfolgs auch 2006 Abbau heissen könnte, schliesst sie nicht aus: «Wir diskutieren auch hier Varianten.» Ausgegangen wird, verrät sie immerhin, von einem im Vergleich zu 2005 stagnierenden Inserateaufkommen.

Mit dieser neuen Sparrunde ist die letzte, die auf dem «Bund» einigen Wirbel ausgelöst hat, schon fast vergessen. Dabei hatte es auf der Redaktion kürzlich immerhin den Versuch gegeben, mit dem Verzicht auf Stellenprozente die Entlassung zweier langjähriger Redaktoren zu verhindern. Der Verwaltungsrat lehnte es aber ab, die Solidaritätsaktion zu unterstützen und die Verzichtenden dem aktuellen Espace-Sozialplan zu unterstellen (auch auf der BZ waren rund sechs Stellen gestrichen worden). Stattdessen bestätigte er die Kündigungen (siehe WOZ 36+39).

Daraufhin entwarf man auf der «Bund»-Redaktion ein Inserat mit dem Titel «Redaktorinnen und Redaktoren des ‘Bund’ informieren», das in der eigenen Zeitung geschaltet werden sollte. Der Inseratetext beschreibt in betont sachlicher Weise den Verlauf der Sparrunde und schliesst: «Wir, die unterzeichnenden ‘Bund’-Redaktorinnen und -Redaktoren, sind bestürzt über diesen Entscheid. Das Engagement, das damit zurückgewiesen wird, ist die Grundlage unserer täglichen Arbeit und muss auch in Ihrem Interesse als Leserinnen und Leser erhalten bleiben.» Unterschrieben wurde dieser Text von rund dreissig RedaktorInnen, gedruckt wurde er aber nie.

Denn am 6. Oktober traf sich im Vorzimmer Ost des Ständerats eine Ad-hoc-Delegation der «Bund»-Radaktion mit dem SVP-Ständerat Hans Lauri, der unter anderem auch als Verwaltungsratspräsident des «Bund» amtet. Lauri hörte sich schweigend die Ausführungen an, warum der Verwaltungsrat mit seinem geringschätzigen Vorgehen die Redaktion brüskiert habe. Dann kam er zur Sache: Er war über das geplante Inserat informiert und habe dem Vernehmen nach «inständig» darum gebeten, auf die Veröffentlichung zu verzichten.

Die Bitte wirkte. Die Redaktion beschloss, bis zur bereits vorher geplanten Aussprache der Gesamtredaktion mit Lauri am 19. Oktober nichts zu unternehmen. An diese Aussprache kam dann nicht nur Lauri, sondern auch die Verlagsdirektorin von Weissenfluh. Mit der Ankündigung der nächsten Sparrunde hat sie die empörten RedaktorInnen schnell auf andere Gedanken gebracht.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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