Neue Medienpartnerschaft

Als Lukas Vogelsang am 23. März das Telefon abnimmt, staunt er nicht schlecht. Bei ihm meldet sich die Espace Media Groupe – die unter anderem die «Berner Zeitung» BZ und den «Bund» herausgibt – und lädt ihn als Chefredaktor des Kulturmagazins «ensuite» für den nächsten Tag zu einer Sitzung ein. Traktandum: Möglichkeiten einer Zusammenarbeit.

Die geplante Kulturagenda

Vogelsang ist ein interessanter Mann, weil er etwas tut, das man in Bern eigentlich gar nicht kann: Er macht ein Ausgehmagazin, obschon in Bern der Markt klein und das Inserateaufkommen zurzeit unbedeutend ist. Das war nicht immer so: In besseren Jahren hatten sich die BZ mit dem «Nonstopp» und der «Bund» mit der «Berner Woche» eigene Kulturmagazine geleistet. Im April 2002 lancierten sie mit dem «Ansager» ein gemeinsames Schrumpfprodukt, ein Jahr später stellten sie aus Spargründen auch dieses ein.

Ende März 2003 wählte die Stadt Bern Christoph Reichenau zum neuen Kultursekretär. Während es sein Vorgänger Peter J. Betts schaffte, ein Vierteljahrhundert lang ein Gerücht zu bleiben, mischte Reichenau sich noch vor seinem offiziellen Arbeitsbeginn in die Kulturmagazin-Debatte ein. Seine Position: Ein Periodikum, in dem die kulturellen Anlässe der Region angezeigt sind, ist eine Dienstleistung, die erbracht werden muss. Wenn sie die Privaten nicht erbringen wollen oder können, muss die Öffentlichkeit aktiv werden.

Aber Reichenau lancierte nicht nur eine für einmal umgekehrte Service public-Debatte. Er lud sämtliche namhaften Berner Kulturveranstalter an einen Tisch und initiierte die «Projektgruppe Kulturblatt», die unter der Federführung der «Abteilung Kulturelles» unterdessen Statuten für einen «Verein Kulturagenda», das Konzept für eine solche Agenda und einen Finanzierungsplan ausgearbeitet hat.

Für das Konzept zeichnet die Burgdorfer «Rederei. Büro für Kommunikation» von Sabine Käch. Danach ist ein 32seitiges, vierzehntäglich erscheinendes Magazin im Tabloidformat vorgesehen, das in einer Startauflage von 15’000 Exemplaren an rund 150 Auflageorten in Kulturinstitutionen und Restaurants gratis abgegeben werden soll. Das Magazin besteht aus einer Agenda und einem redaktionellen Teil, der unter Kächs Leitung von einem «Redaktorenpool, bestehend aus mehreren freien Journalisten» gemacht werden soll. Letztere erhalten neben den Honoraren für ihre Beiträge ein Sockelfixum von 500 Franken.

Das vorliegende Grobbudget sieht einen Gesamtaufwand von 776’680 Franken bei Inserateeinnahmen von 208’000 Franken vor. Von der Differenz von 568’680 Franken übernehmen die KulturveranstalterInnen 300’000 Franken, die Öffentlichkeit 220’000 Franken (150’000 Franken davon die Stadt Bern). Für den Rest der Differenz werden Sponsoren gesucht.

Im Grundsatz haben die KulturveranstalterInnen dieses «Rederei»-Konzept abgesegnet. Zurzeit wird es verfeinert und danach in die Vernehmlassung geschickt. Anfang August 2004 soll, so der Plan, die erste «Kulturagenda» erscheinen.

«ensuite» – das Kulturmagazin

Nun ist es aber so, dass es nach der Einstellung des «Ansagers» im April 2003 noch Leben gab in Berns Ausgehmagazin-Wüste. Seit dem Januar erschien nämlich das Kulturmagazin «ensuite». Dahinter steht der Verein «We are, Bern», der den Auftrag für die Herstellung des Magazins an die «Interwerk GmbH» weitergegeben hat. Hinter beiden Organisationen steht vor allem ein Mann: Lukas Vogelsang, der sich selber als «Initiator und Chefredaktor» von «ensuite» bezeichnet.

Vogelsang ist ein beredter Kulturaktivist und ein Medienpionier mit bemerkenswerter Power. Aus dem Nichts hat er ein unterdessen 15 Mal erschienenes Magazin aus dem Boden gestampft. Zurzeit produziert unter seiner Leitung ein 23-köpfiges, gratis arbeitendes Redaktionsteam ein 56-seitiges Heft im Tabloidformat, das neben einer 24-seitigen Agenda auch einen «nationalen Eventkalender» bietet. Das Jahresbudget von rund 80’000 Franken wird aus Werbeeinnahmen bestritten, zudem steuern die Migros und die Burgergemeinde insgesamt knapp 20’000 Franken bei. «ensuite» liegt zurzeit an 214 Standorten in insgesamt 10’000 Exemplaren auf.

Aber warum arbeiten Reichenau und Vogelsang nicht einfach zusammen? «Diese Geschichte tut mir weh», sagt Reichenau, «eine Zusammenarbeit wäre gewünscht und ein Vertrag möglich gewesen». Vogelsang habe im letzten Herbst von der Stadt den bezahlten Auftrag erhalten, ein Konzept vorzulegen. In der Diskussion darum sei er aber dann nicht auf die Bedürfnisse der «Projektgruppe Kulturblatt» eingegangen, habe sein «ensuite» telquel durchsetzen wollen, obschon dieses nicht das vollständige städtische Kulturangebot verlässlich abbilde. Zudem sei seine Offerte «schlicht zu teuer» gewesen.

Das sieht Vogelsang anders: Er habe ein realistisches Konzept vorgelegt, vierzehntäglich erscheinen zu wollen sei unrealistisch. Im Übrigen, fügt er hinzu, ignoriere die Stadt, dass es bereits einen funktionierenden Markt gebe: «Die Stadt soll zwar Privatinteressen subventionieren, aber es ist nicht ihre Sache, sie zu konkurrenzieren».

Gespräche mit Espace Media Groupe

Mit dem Anruf der Espace Media Groupe hat Vogelsang nun einen mächtigen Verbündeten bekommen. Unterdessen hat die gemeinsame Sitzung stattgefunden. Beschlossen wurde, so die BZ- und «Bund»-Verlagsdirektorin Franziska von Weissenfluh, eine «Partnerschaft, die beiden Parteien nützen soll». Konkret geht es um gegenseitig zur Verfügung gestellten Inserateraum. Ob BZ und «Bund» im «ensuite» Image- oder Abowerbung machen, ist noch nicht entschieden. Sicher ist, dass BZ und «Bund» per Inserat ihrem Abonnenten und Abonnentinnen das «ensuite» zu einem Vorzugspreis anbieten.

Von Weissenfluh betont, dass die neue «Geschäftsbeziehung» zum «ensuite» nicht im Zusammenhang mit der geplanten «Kulturagenda» der Stadt stehe – umso mehr, als sie von Reichenau in dieser Sache noch nie begrüsst worden sei. Genau das will Reichenau nachholen, denn insbesondere beim Druck und beim Vertrieb wäre der «Kulturagenda» eine Zusammenarbeit mit der Espace Media Groupe höchst willkommen. Allerdings ist er realistisch: «Wir verfolgen bei der weiteren Planung der Kulturagenda eine Doppelstrategie: mit oder ohne Espace Media Groupe.»

Hier geht’s zur «Kulturagenda», und hier zum «ensuite».

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