Mann in Frauenberuf

Im Behandlungsraum der Kosmetikfachschule HWS in Basel: Entlang den Wänden zwei lange Reihen von Behandlungsliegen. Die Lernenden, junge Frauen in weisser Arbeitskleidung, sind konzentriert mit ihren Kundinnen beschäftigt. Nur der einzige männliche Lehrling im Ausbildungsgang «Kosmetiker/in EFZ» hat heute andere Kundschaft: Alain Ebner empfängt Leute von der Presse, weil er erst der dritte Mann ist, der in der Schweiz diesen Beruf erlernt.

Die männliche Kosmetikerin

Mitte Oktober hat Ebner bei der dritten Basler Berufsmesse am Stand der «Fachstelle für Gleichstellung von Frauen und Männern Basel-Stadt» mitgearbeitet. Er trug eine Schärpe mit der Aufschrift «Ich bin Kosmetiker» und hat so beim Publikum auf seinen geschlechtsuntypischen Beruf aufmerksam gemacht – zusammen mit einem Kleinkindererzieher, einem medizinischen Praxisassistenten und einer Flugzeugmechanikerin.

Junge Frauen seien von ihm als Kosmetiker begeistert gewesen, sagt er, junge Männer hätten eher Mühe gehabt, Sprüche geklopft und Witzchen gerissen. «Aber sicher brachten wir einige zum Nachdenken – und darum haben wir den Stand ja gemacht.»

Aber wie kommt man zu einem geschlechtsuntypischen Beruf? Bei Alain Ebner war es so: Er ist ohne Vater aufgewachsen, seine Geschwister sind alle jünger, seine Mutter hat stets in «normalen» Frauenberufen gearbeitet, im kaufmännischen Bereich und als Flight-Attendant. Für seine Berufswahl wichtig wurde, dass die Eltern einer Kollegin ein Geschäft hatten, in dem der Vater als Coiffeur, die Mutter als Kosmetikerin gearbeitet hat. Als Fünfzehnjähriger sei er sofort von der Kosmetik fasziniert gewesen. Später arbeitet er jahrelang als Ungelernter – bis die Erinnerung an seine damalige Faszination zurückkehrt. Er beginnt, mit Familie und Kollegen über den Beruf des Kosmetikers zu reden: «Nie hat jemand gesagt: ‘Einen solchen Frauenberuf kannst du nicht lernen.‘ Die Reaktionen waren durchweg positiv.»

Dass Kosmetiker ein unüblicher Männerberuf ist, habe er erst richtig begriffen, als er eine Lehrstelle zu suchen begann. Es gebe nur wenige Lehrmeisterinnen und von denen seien noch nicht alle offen dafür, einen Mann auszubilden. Aber davon liess sich Ebner nicht abschrecken: «Heute weiss ich, dass Kosmetik mein Beruf ist, weil ich da mit Leidenschaft dabei bin. Auf diesen Berufsentscheid kann ich bauen.»

Klar sei es heute noch so, sagt er, dass der grosse Teil der Kundschaft weiblich sei. Und es stimme, dass kosmetische Behandlungen zum Teil die Intimsphäre tangierten. Aber andererseits beobachtet er, dass heute auch Männer vermehrt «auf Aussehen, Pflege und Gesundheitserhaltung» achten und kosmetische Dienstleistungen in Anspruch nehmen: «Das ist im Kommen.» Zudem kenne viele, Männer und Frauen, die gerne zu einem Kosmetiker gehen würden: «Gerade in den grösseren Städten gibt es da eine Marktlücke.»

Auf der Schulbank

Seit drei Monaten besucht Alain Ebner nun das erste Lehrjahr. Zurzeit drückt er pro Woche drei Tage die Schulbank. Zum einen geht es da um Biologie, um die Anatomie des Menschen und um Dermatologie, also die Lehre von der Haut; zum andern um Berufskunde, insbesondere um Zusammensetzung und Wirkungsweise von kosmetischen Produkten. Dazu kommt ein halber Tag allgemeinbildender Unterricht.

Dienstag und Donnerstag sind Praxistage, an denen im Behandlungsraum Kunden und Kundinnen bedient werden, die sich über Internet melden und die Dienste der Lernenden zu stark reduzierten Tarifen in Anspruch nehmen können.

Zentral bei der kosmetischen Arbeit sind Pflege und Erhaltung der Haut. Mit Ganzkörperpackungen wird ihr Alterungsprozess verzögert, mit Massagen und Salben die Haut gestrafft, Cellulitis bekämpft. Daneben geht es um die Schönheit – immerhin bedeutet das altgriechische «kosméin» «schmücken»: Ebner lernt zur Zeit Handpflege (Manicure), Fusspflege (Pédicure), schminken (Make-up), er lernt, störende Körperhaare zu entfernen (Depilation), Wimpern und Brauen zu färben und Brauenkorrekturen vorzunehmen. «Nach dem ersten Lehrjahr», sagt er, «müssen wir alle Behandlungsformen, wenn auch noch nicht perfekt, ausüben können, damit wir einsatzfähig sind für das externe Praktikum.»

Was Alain Ebner bereits beherrscht, demonstriert er gerne: Mit einem hölzernen Spachtel trägt er auf den Handrücken warmen, zähflüssigen Bänderwachs auf, streicht ihn flach, drückt ihn fest und löst dann mit dem Spachtel den Wachs an einer Ecke. Nun reisst er die Masse mit einem Ruck weg, und der Reporter verlässt die Kosmetikfachschule mit sauber depilierter linker Hand.

 

[Kasten]

Der Karaoke-Sänger

Alain Ebner (* 1987) ist in Liestal aufgewachsen und hat dort die Schule besucht. Eine Lehre als Detailhandelsfachmann Textil bricht er ab und beginnt stattdessen als Ungelernter zu arbeiten: als Barmann, als Kellner und im Kleiderverkauf. Dann meldet sich sein erster Berufswunsch wieder: Kosmetiker mit Eidgenössischem Fachzertifikat (EFZ).

Bevor er die dreijährige Ausbildung an der privaten Huber-Widemann-Schule in Basel in Angriff nimmt, klebt er für eine Bäckerei Etiketten. Ein Jahr lang 40 Stunden pro Woche: um Geld für die Ausbildung zusammenzusparen. Für die drei Lehrjahre rechnet er insgesamt mit Kosten von 40000 Franken. Ein eigenes Kosmetikstudio wünscht er sich zwar – aber erst, wenn er genügend Berufserfahrungen gesammelt hat.

Alain Ebner lebt noch immer in Liestal. Ob er später in den Schweizerischen Fachverband der Kosmetik (SFK) eintreten wird, lässt er offen. Sein Hobby ist Karaoke, das heisst: Er singt in Bars über Instrumentalversionen bekannter Titel die Originalmelodie. Dafür hat er in den letzten Jahren Einzelgesangsunterricht genommen.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5