Käthi Kamm, Grenztierärztin

Ein langgezogenes, flaches Lagerhaus zwischen der Fracht West und dem Cargo-Flughafen in Kloten. Die hinterste Türe ist mit «Grenztierärztlicher Dienst – Border Veterinary Service» angeschrieben. Hier arbeitet die Grenztierärztin Käthi Kamm als Angestellte des Bundesamts für Veterinärwesen, das zum Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement gehört.

Es ist Mittagszeit, kurz nach zwölf, sie kommt direkt von der Arbeit: An diesem Vormittag hatte sie Frühschicht und die Aufgabe, die am Flughafen Zürich ankommenden Tiere abzufertigen: heute zum Beispiel eine Sendung mit Zierfischen aus Singapur oder zwei Sendungen mit je einem Hund aus den USA, von denen unterdessen einer nach Italien, der andere nach Frankreich weitergereist ist. Von Würmern bis zu Löwen und Krokodilen kommt hier alles vorbei – ausser Kühen und Pferden: «Für Klauen- und Huftiere ist der Flughafen Zürich nicht zugelassen.»

Käthi Kamms Beruf ist selten geworden. Bis 2008 gab es in der Schweiz knapp achtzig Grenztierärzte und -ärztinnen. «Heute arbeiten am Flughafen Zürich noch sechs und am Flughafen Genf deren fünf, sonst gibt es keine mehr.» Grund: Auf 1. Januar 2009 hat die Schweiz im Rahmen von Bilateralen Abkommen Produktenormen und staatliche Kontrollen der EU als gleichwertig anerkannt. Damit wurde die Abfertigung und Kontrolle von Tieren und tierischen Produkten, die aus aussereuropäischen Ländern in die Schweiz eingeführt werden, in die EU weiterreisen oder in ein anderes Drittland transitieren, vollständig in das Kontrollregime der EU integriert.

Seither gibt es an den schweizerischen Aussengrenzen keine Tierärzte mehr. Umgekehrt haben die grenztierärztlichen Dienste an den Flughäfen Genf und Zürich an Bedeutung gewonnen: «Für Tiere und tierische Produkte, die aus einem Drittland hier eintreffen, ist unsere Dienststelle grundsätzlich die Eintrittspforte in die EU. Insofern arbeiten wir hier auch als EU-Behörde.»

Tiere, Fleisch und alles andere

Beim grenztierärztlichen Dienst gibt es drei zeitlich verschobene Schichten mit je unterschiedlichen Pflichtenheften. Heute hat Käthi Kamm die erste Schicht von 7 bis 12 Uhr abgedeckt. In dieser Schicht arbeitet man im Tierraum, in den alle Tiere, die am Flughafen ankommen, gebracht werden. Die meisten Tiere treffen frühmorgens ein, viele aus Asien, und bis am Mittag sind sie in aller Regel bereits wieder weg. Tiere werden nur dann zurückgehalten, wenn bezüglich der seuchenpolizeilichen Kriterien etwas nicht stimmt. Nicht selten nehmen zum Beispiel Leute aus der Schweiz ihren Hund in ein Tollwutland mit in die Ferien und wollen dann mit ihm wieder einreisen, ohne nachweisen zu können, dass das Tier wirksam gegen Tollwut geimpft ist. In diesem Fall muss der Hund in Kloten bleiben, bis sein Blut von der Tollwutzentrale in Bern negativ getestet worden ist.

Es gehört nicht zur Aufgabe einer Amtstierärztin am Flughafen, Tiere klinisch zu untersuchen. Geklärt werden müssen vielmehr Fragen wie diese: Reisen die Tiere in adäquaten Käfigen? Ist, falls nötig, Wasser und Nahrung vorhanden? Geht es den Tieren gut? Der Rest der Arbeit geschieht am PC. Mit jeder Tiersendung treffen Unterlagen eines Amtstierarztes aus dem Herkunftsland ein. Diese dienen als Grundlage für das elektronisch anzufertigende, zur Einfuhr nötige «Gemeinschaftliche Veterinärdokument». Darin festzuhalten ist zum Beispiel: Woher kommt das Tier? Wohin geht es? dazu Adressen, Flugnummern, Startzeit, Ankunftszeit etc. «In die Schweiz oder in ein EU-Land weiterreisen kann ein Tier erst, wenn ein solches Dokument erstellt und von einer tierärztlichen Fachperson unterschrieben worden ist.»

Die zweite Schicht beginnt um 8 Uhr und dauert bis 16 Uhr. Gearbeitet wird bei den grossen Kühlräumen des Lagerhauses. Bei dieser Schicht steht die Fleisch- und Fischkontrolle im Zentrum: «Thunfisch von den Philippinen, Pangasius aus Vietnam, Rindfleisch aus Uruguay, Lammrack aus Australien oder Neuseeland – einfach alle tierischen Importe, die zum Verzehr bestimmt sind.» Auch hier werden nach der Kontrolle der Ware die Begleitpapiere auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft, Zeugnisse müssen den Vorlagen für den Import in die EU entsprechen und damit auch alle von der Schweiz verlangten Garantien enthalten. Regelmässig werden den Sendungen Proben entnommen und zur Laboranalyse nach Zürich oder Bern geschickt. Dort werden die Fleisch- und Fischprodukte auf diverse Keime und Schwermetalle untersucht.

Die dritte Schicht schliesslich beginnt um 9 Uhr und endet um 18 Uhr. in dieser Schicht, dem sogenannten «Bürodienst», geht es um alle tierischen Erzeugnisse, die nicht zum Verzehr bestimmt sind: alle möglichen Tiertrophäen, ausgestopfte ganze Tiere, Schädel, Ohren, Felle, Hörner, Zähne, Bullensperma oder Rinderembryonen. Zudem wird während dieser Schicht die Ware von geschützten Tieren – etwa Pelze, Uhrenbänder aus Alligatorleder, bestimmtes Tierblut – kontrolliert und abgefertigt. Und dann gehört zu dieser Schicht der Schalterdienst: Werden geschützte Tiere oder Präparate per Auto an die schweizerische Aussengrenze gebracht, sind die Tierhalter verpflichtet, sie innerhalb von 48 Stunden an einer der acht schweizerischen Artenschutzkontrollstellen vorzuführen, von denen der Grenztierärztliche Dienst im Flughafen Zürich eine ist. «Wählt der Kunde gegenüber den Zollbehörden unsere Stelle aus, erhalten wir per Fax eine Vorinformation zur entsprechenden Einreise.»

Neben diesen drei Schichten garantiert der Grenztierärztliche Dienst am Flughafen Zürich die Abfertigung auch am Wochenende, am Samstagvormittag von 8 bis 12 Uhr und am Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

Kamms Weg zum grenztierärztlichen Dienst

Schon während ihres Studiums an der Universität Zürich war für Käthi Kamm (* 1952) klar, dass sie später einmal eine eigene Praxis haben würde. Vorerst aber arbeitet sie während der Semesterferien in Tierarztpraxen im In- und Ausland. Nach dem Studium geht sie als Assistentin an das Tierspital in Zürich, vorerst an die Klinik für Grosstierchirurgie. Als sie plant, eine Familie zu gründen, sieht sie ein, dass die Rund-um-die-Uhr-Abrufbereitschaft, die eine Grosstierpraxis erfordern würde, mit der Mutterrolle nicht zu vereinbaren ist. Sie wechselt deshalb an die Kleintierklinik und sammelt Erfahrungen in den Abteilungen Chirurgie, Medizin, Neurologie und Gynäkologie. 1982 kommt dann ihr Sohn zur Welt.

1986 eröffnet sie in Urdorf (ZH) eine Kleintierpraxis und arbeitet vor allem mit Hunden und Katzen. Mit den Jahren verändert sich allerdings ihr Beruf: Mehr und mehr Kunden und Kundinnen beziehen Halbinformationen aus dem Internet und stellen fachlich nicht haltbare Forderungen. Dazu kommt, dass die Praxis neben den Honoraren zunehmend auf den Verkauf von Tierbedarfsartikeln angewiesen ist. Als sie nach einem Todesfall in der Familie auch noch persönlich in eine schwierige Situation gerät, entschliesst sie sich, ihre Praxis zu verkaufen und wieder Vertretungen in Kleintierpraxen zu übernehmen.

Im Februar 2002 bewirbt sich Käthi Kamm auf eine ausgeschriebene Stelle des Grenztierärztlichen Dienstes am Flughafen Zürich. Seit dem 1. Mai 2002 arbeitet sie hier, zur Zeit zu 75 Prozent, und ist zufrieden: «Hier habe ich einen abwechslungsreichen, anforderungsreichen Job, und kein Tag ist wie der andere.»

Von der Nützlichkeit des PVB

Eigentlich, sagt sie, hätte sie erwartet, von ihrem neuen Arbeitergeber darüber informiert zu werden, dass es innerhalb der Bundesverwaltung einen Personalverband gebe. Aber so sei es nicht gewesen. Eine ältere Kollegin habe ihr vom Personalverband des Bundes (PVB) erzählt, davon, dass sie selber im Konfliktfall schon unterstützt worden sei, dass der Verband die Kosten für gewisse Weiterbildungen übernehme, dass er Rechtsbeistand garantiere, dass er REKA-Checks und einen Kalender zur Verfügung stelle.

So ist Käthi Kamm als Grenztierärztin dem PVB beigetreten. Sie hat es nicht bereut: Sie erwähnt einen dreitägigen PVB-Weiterbildungskurs in Meiringen, von dem sie profitiert hat und all die Informationen, die sie immer wieder über ihre Rechte und Pflichten als Arbeitnehmerin hat abrufen können. Vor allem aber erinnert sie sich an die turbulente Zeit im Vorfeld der Unterzeichnung der Bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz: Die Flughäfen Genf und Zürich mussten viele neue Aufgaben übernehmen, und die Abläufe mussten neu an die EU-Vorgaben angepasst werden. Am Flughafen Zürich arbeiteten damals fünf Grenztierärzte und -ärztinnen jenseits der Kapazitätsgrenzen. Der PVB unterstützte in dieser Zeit die Verbandsmitglieder bei wichtigen Sitzungen beratend aus dem Hintergrund. Es wurde darauf zuerst unbürokratisch und schnell eine Stelle in der Administration geschaffen, später insgesamt deren drei. «Es war und ist bis heute wichtig, einen unabhängigen Ansprechpartner wie den PVB-Verbandssekretär Jürg Grunder zu haben, der unsere Situation und die involvierten Gesprächspartner in Bern persönlich kennt.»

Heute ist der Grenztierärztliche Dienst ein «Border Inspection Post», eine tierärztliche Grenzkontrollstelle, mit sechs Tierärzten und -ärztinnen und drei Assistentinnen. Zudem werden unterdessen telefonische Anfragen aus dem Publikum, die früher vor Ort zwischen anderen Aufgaben hatten beantwortet werden müssen, an einen Auskunftsdienst nach Bern umgeleitet. Seither ist die Zeit der ausserordentlichen persönlichen Einsätze vorbei, und Käthi Kamm kann nun die aufgelaufenen Ferientage aus den Vorjahren beziehen. 

Abgedruckt in: Personalverband des Bundes (PVB) (Hrsg): 100 Jahre Personalverband des Bundes PVB. Geschichte und Porträts, St. Gallen (Niedermann Druck AG) 2012, S. 13-18.

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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