Gotthelf-Edition (VII): Die Kunst des Tunnelbaus

Die Grossrätin Béatrice Stucki (SP) hat getan, was nötig war: Sie hat kritisch nachgefragt. Denn mit dem Riesenprojekt der Gotthelf-Edition an der Universität Bern ist es ein bisschen so wie mit dem Bau eines langen Tunnels: Ist der Berg erst einmal angebohrt, ist die Arbeit entwertet und das Geld verloren, wenn nicht weiterfinanziert wird bis zum Durchstich. Gibt es bei einem solchen Grossprojekt zum Beispiel schon in einer frühen Phase unbeantwortete Fragen zur Finanzierung, tut die Öffentlichkeit gut daran, hinzuschauen.

Die verschollenen 450’000 Franken

Stucki wollte deshalb in ihrer Interpellation wissen, wer der «ominöse Sponsor» sei (nach dem auch Journal B schon vor bald einem Jahr gefragt hat), um wie viel Geld es gehe und zu welchen Bedingungen es fliesse. Und siehe da: Der Regierungsrat kann vollständig beruhigen: «Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dem Regierungsrat kein Sponsor oder Mäzen bekannt.»

Erstaunlich. In einem Mail vom 17. Mai 2014 hat Christoph Pappa, Generalsekretär der Universität Bern und Präsident der Jeremias Gotthelf-Stiftung, Journal B mitgeteilt, es sei dem Gotthelf-Projektteam gelungen, «ein[en] Förderungsbeitrag von 450’000 CHF aus privatwirtschaftlicher Quelle» anzuwerben.

Gleichlautend und präzisierend ein projektinternes Arbeitspapier (ohne Verfasser, undatiert, vermutlich Anfang April 2014) mit dem Titel «Zeitplan HKG – optimiert (avisiertes Projektende incl. digitaler Edition 2032)»: «Da Patricia Zihlmann-Märki und Christian von Zimmermann in der Zwischenzeit Verhandlungen über eine umfassende Sicherung der Edition durch einen privatwirtschaftlichen Mittelgeber geführt haben, der auch bereits einen ersten Förderungsbeitrag von 450’000 CHF gesprochen hat, haben wir….» etc. In den gleichen Wochen wird Zihlmann-Märki – und zwar, wie damals projektintern informiert wird, weil sie als Türöffnerin zum anonymen Sponsor fungiere – zur Stellvertreterin des neuen Projektleiters von Zimmermann ernannt.

Zudem gibt es den Brief vom 28. April 2014, in dem der Rektor der Universität Bern, Martin Täuber, zuhanden des Projektteams einleitend schreibt, er spreche vor dem Hintergrund, «dass für die Jeremias-Gotthelf-Ausgabe zusätzliche Mittel in beträchtlichem Umfang in Aussicht gestellt worden sind»: «Die Universitätsleitung ist hocherfreut und dankbar über die in Aussicht gestellte Generosität.»

Und schliesslich sprach Projektleiter Christian von Zimmermann zwei Monate später, am 30. Juni 2014, gegenüber der «Berner Zeitung» über die «laufenden Verhandlungen» mit dem Sponsor, bei denen nicht die Rede davon sein könne, dass «Einfluss auf die Forschung genommen» werde.

Insgesamt darf aus dieser Quellenlage geschlossen werden: Es gab einen anonymen Sponsor, der spätestens Anfang April 2014 den Betrag von 450'000 Franken gesprochen hat und mit dem mindestens bis Ende Juni 2014 verhandelt worden ist. Wegen der 450'000 Franken hat Journal B nun bei Generalsekretär Pappa nachgefragt: «Ist dieser Beitrag ausbezahlt worden? Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: Dürfen Sie heute sagen, von wem?» (Mail, 20.4.2015). Pappas Antwort: «Wenn es im Zusammenhang mit dem Gotthelf-Projekt Dinge gibt, über welche die Universität zu informieren hat, wird sie dies auf jeden Fall tun. Im Moment ist dies nicht der Fall.» (Mail, 27.4.2015)

Es fehlen 8 bis 16 Millionen Franken

Da der Regierungsrat schreibt, dass ihm «zum gegenwärtigen Zeitpunkt» kein Sponsor oder Mäzen bekannt sei, müssen die Verhandlungen mit dieser Person nach Ende Juni 2014 gescheitert sein. Denn die Universität informiert sehr wohl, wenn ein grösseres Sponsoring zustande kommt – so etwa im letzten Herbst, als sie über eine massgeblich vom Krankenversicherer Helsana mitfinanzierte Palliativ Care-Professur informierte.

Aber weshalb scheiterten die Verhandlungen mit dem Sponsor der Gotthelfedition? Offenbar sind ja 450'000 Franken gesprochen worden: Warum darf der Regierungsrat von diesem Sponsorengeld nichts wissen (oder nicht darüber sprechen)? Und falls das Geld doch nicht geflossen wäre: Hat es in diesem Fall den Sponsor überhaupt gegeben, auf dessen angeblichen Wunsch oder sanften Druck Zihlmann-Märki zur Projekt-Stellvertreterin gemacht worden sein soll und seither im Zuge der Machtkonsolidierung des Projektleiters von Zimmermann das bewährte Arbeitsteam A faktisch an die Tunnelwand gefahren worden ist?

Heute ist die Situation so, dass die Öffentlichkeit in keiner Weise wissen kann, wie das Riesenprojekt nach den Anschubfinanzierungen von Kanton Bern und Nationalfonds (je 6 Millionen Franken) eigentlich berappt werden soll. Die BZ hat am 30. Juni 2014 spekuliert, dass bis Projektende noch 8 bis 16 Millionen Franken fehlen – man darf beifügen: eher mehr als weniger, denn unterdessen fährt man mit Print- und Online-Edition doppelgleisig.

Wenn die Universität Bern heute der Meinung ist, es gebe nichts zu informieren, dann soll der Öffentlichkeit offenbar gefälligst egal sein, ob auf der auch mit kantonalem Geld eröffneten Grossbaustelle Gotthelfedition je mehr als ein Torso stehen wird. Gut möglich, dass sich die Zuständigen gotthelfisch bauernschlau denken: Ist der Tunnel erst einmal angebohrt, muss am Ende ja irgendjemand weiterzahlen, soll das bereits investierte Geld nicht verloren sein.

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Was den aktuellen Stand der Gotthelfedition betrifft, gibt es immerhin eine gute Nachricht: Nachdem seit 2004 von den angekündigten «mindestens 67» Bänden deren zehn vorgelegen hatten und 2014 keiner veröffentlicht wurde, erschien nun im Februar 2015 der Band mit den Predigten 1827-1830 ([Hrsg.: Roland Reichen, Olms-Verlag, 228 Euro). Das sind die Predigten aus jener Zeit, in der Albert Bitzius als Vikar zuerst in Herzogenbuchsee und danach – seit 1829 – an der Heiliggeistkirche in Bern wirkte. – Beim Olms-Verlag für 2015 zudem angekündigt sind der erste Band des Romans «Leiden und Freuden eines Schulmeisters», die Textbände «Predigten 1831-1840» und «Pädagogische Publizistik» sowie der Kommentarband zum bereits erschienenen Roman «Jacobs, des Handwerksgesellen, Wanderungen durch die Schweiz».

 

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Gotthelf zur Interpellation Stucki

Was die desinteressierte Substanzlosigkeit der von der Erziehungsdirektion verantworteten regierungsrätlichen Antwort auf die Interpellation Béatrice Stuckis zur Gotthelfedition anbelangt, halten wir es mit Pfarrer Bitzius in Lützelflüh. In einem anderen Handel hat er am 1. Februar 1838 im «Berner Volksfreund» feststellen müssen: «Nicht ausgemacht ist: welche Gefühle das Erziehungs-Departement gegen seine Hochschule hegt. Uns scheint, nicht die besten.» (Jeremias Gotthelf: Politische Publizistik. HKG Abt. F-1-1, Hildesheim / Zürich / New York [Georg Olms Verlag] 2012, S. 80)

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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