Gleichstellung – und der Konzern läuft

Der Lesekasten neben der stählernen Drehtüre erkennt den Besucherbadge und öffnet. Gleich dahinter eine riesige Baustelle: Hier entsteht das konzerneigene Forschungs-, Entwicklungs- und Managementzentrum mit dem Namen «Campus des Wissens und der Innovation». «Ein Milliardenprojekt», sagt Brigitte Martig und geht auf ein Bürohochhaus zu. In der Cafeteria im Parterre eine Kaffeepause: Immerhin ist heute der Tag nach dem «Morgestraich» und Martig ist eigentlich fasnachtshalber ferienabwesend. «Aber wir sind hier ja jederzeit verfügbar», lacht sie.

Brigitte Martig ist Vorsitzende der «Personalvertretung-Angestellte», die jene rund 6000 Novartis-Mitarbeitenden der Schweiz vertritt, die mit einem Einzelarbeitsvertrag (EAV) angestellt sind. Diese Vertretung hat zwölf Mitglieder und kann für die Arbeit unter sich nach freiem Ermessen 260 Prozent Novartis-Arbeitszeit verteilen. Mit Bernd Körner, der die zweite Novartis-Personalvertretung, jene im GAV- Bereich, präsidiert und rund 1800 Mitarbeitende vertritt, arbeitet sie eng zusammen: Gemeinsam setzen sie sich für den Einheitsarbeitsvertrag ein: «Seinerzeit signalisierte der Wechsel vom GAV-Bereich zum Einzelarbeitsvertrag den sozialen Aufstieg vom Blaukittel zum Weisskittel. Heute sind die verschiedenen Vertragsformen ein alter Zopf.» Auf dieses Jahr nun hat die Unia eine generelle Lohnerhöhung von 1,5 Prozent ausgehandelt, die allerdings nur im GAV-Bereich verbindlich ist. Seither denken in der Novartis wohl vermehrt auch Leute mit Einzelarbeitsverträgen über die Vorteile eines Einheitsarbeitsvertrags nach.

Martigs Büro  liegt im ersten Stock des Bürohochhauses. Durchs Fenster blickt man hinüber auf die Werftanlagen des Rheinhafens St. Johann. Ein Stück Basler Industriegeschichte, das der Campus-Überbauung wird weichen müssen.

Arbeitgeber im Rampenlicht

In der Novartis-Welt zählt die Gleichstellung von Mann und Frau zur «Diversity», zur gleichzustellenden «Vielfalt». Martig: «Ein solcher Konzern könnte es sich gar nicht leisten, in diesem Punkt nur zu reden und nichts zu tun.» • Einer Gleichstellungsbeauftragte («Head of Diversity») obliegt es, das Diskriminierungsverbot durchzusetzen, wonach laut dem «Novartis-Kodex» von 2001 «keine Diskriminierung oder Belästigung geduldet» werde «aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht oder einem anderen relevanten Kriterium». • Auf Druck der Personalvertretungen hat Novartis in seinen Schweizer Werken auf 1. April 2004 mit einer einmaligen Lohnerhöhung die Defizite bei rund 900 Frauenlöhnen ausgeglichen. Kostenpunkt: 2,89 Millionen Franken aus einem Extratopf. Martig: «Seither können wir sagen: Die Gleichstellung im Lohnbereich ist grundsätzlich durchgesetzt.»

• Obschon Frauen für Novartis demnach teurer geworden sind, nimmt ihr Anteil an Mitarbeiterinnen weiter zu (zurzeit: 38 Prozent). Im Managementbereich hat der Frauenanteil im letzten Jahr erstmals 25 Prozent übertroffen.

• In Basel bietet das Werk in drei Krippen total 55 Vollzeitplätze für Kinder ab drei Monaten an. Eine weitere Krippe wird noch in diesem Jahr beim Novartis-Werk in Stein am Rhein eröffnet.

• Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gilt hier als Form von Machtmissbrauch, und der Tarif ist klar: «Machmissbräuche werden nicht geduldet und sanktioniert – wenn nötig mit der Kündigung.»

Das grösste Problem im Gleichstellungsbereich ist, so Martig, ist das bei knapp 14 Prozent stagnierende Angebot an Teilzeitstellen. Sie und ihre Leute versuchten zwar mit Überzeugungsarbeit auf die Personalverantwortlichen Einfluss zu nehmen. Konkret lasse sich aber nur im Einzelfall etwas tun: «Wenn es gewünscht wird, versuchen wir, die zuständigen Vorgesetzten von einer Teilzeitlösung zu überzeugen.»

Wahlkampf am Arbeitsplatz

In den ersten drei Monaten des Jahres, wenn die Vorgesetzten jeweils die Leistungen der Novartis-Angestellten neu bewerten, fallen viele Beratungen von Enttäuschten und Frustrierten an. Aufs Jahr gerechnet investiert Brigitte Martig ungefähr die Hälfte ihrer Arbeitszeit als Vorsitzende in solche Beratungen. Die restliche Zeit setzt sie in Sitzungen in verschiedenen Gremien und für Engagements in Arbeitsgruppen ein.

Zwischen dem 12. und dem 28. März finden nun in der rund 8000köpfigen Belegschaft von Novartis Schweiz die Neuwahlen für die beiden Personalvertretungen statt. Martig stellt sich (wie ihr Kollege Körner) für das Bündnis «Uniaplus» erneut zur Wahl. Für sie wäre es die vierte Legislatur. Die Zehnpunkte-Wahlplattform von Uniaplus fordert übrigens auch weitere Verbesserungen im Bereich der «Gleichstellung». «Die Arbeit geht weiter», sagt Brigitte Martig. «Aber erst nach der Fasnacht.»

 

[Kasten]

Eine Spielernatur

Nach der kaufmännischen Ausbildung machte Brigitte Martig (* 1962) einen längeren Sprachaufenthalt in England. 1984 stieg sie als Kauffrau bei der Ciba-Tochter Pharma International ein. Sie erwarb ein höheres Wirtschaftsdiplom und spezialisierte sich auf Finanzcontrolling. Seit der Fusion von Ciba und Sandoz zur Novartis (1996) arbeitet sie in der Finanzabteilung der «Klinischen Entwicklung» des Konzerns.

1998 wurde sie auf Anhieb in die «Personalvertretung Angestellte» gewählt, seit 2004 ist sie deren Vorsitzende. Für diese Arbeit kann sie 70 Prozent ihrer Vollstelle einsetzen. Brigitte Martig ist Unia-Mitglied. Ihr Bruttolohn beträgt gut 9000 Franken im Monat, dazu kommt eine jährliche Bonuszahlung. Sie ist verheiratet und bezeichnet sich als Spielernatur. Sie liebt gutes Essen und Trinken mit Familie und Freunden. Und in den Ferien das Schnorcheln und Tauchen im Meer. 

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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