«Gas drii, pumm!»

Eine Aufnahme des Berner Polizeifunks vom 26. November, welche der WoZ zugeschickt worden ist, zeigt alles über Mentalität, Motivation, kurz den geistigen Stand der Berner Prügelknaben und ihrer Vorgesetzten.

Wir erinnern uns: am 26. November besetzten Zaffaraya-Sympis das leerstehende ehemalige «Contact»-Haus, welches sofort mit Gas und Gummi geräumt wurde. Die so vertriebenen BesetzerInnen zogen in die Innenstadt, um ihrer Wut Luft zu machen. Dort kam es bis spät in die Nacht zu weiteren Gas- und Gummigeschosseinsätzen, «um weitere Schäden zu verhindern» (Polizeidirektor Marco Albisetti).

Die WoZ dokumentiert hier die gekürzte, der Lesbarkeit halber leicht «eingedeutschte» und um der Authentizität willen doch berndeutsch belassene Abschrift. Die Voten des Sprechers der Polizeizentrale sind kursiv gesetzt. [Für diese Zweitveröffentlichung sanft verberndeutscht, fl., 5.11.2015]

*

Jaguar vo 37: Wo weit dir dr Nachschueb?

Use zum Contact, zum ehemalige.

Ok, mir chöme.

Es chunnt e Wage ine, Nummer eis, dert wär dr X [Name eines Zaffarayaners, Red.] druffe. Tüet also dinne organisiere, dass me dä chönti näh.

Ha alli chönne verlade, wo uf dr Schtäge si gsi.

Brünu, merci für di Erfolg. Jetz chönnt me schnäll mit eme Suechtrupp ds Huus mache.

Wohäre mit dr Munition?

Hinderem Huus müesse mer se hat. Dr Awalt vo dene Chaote, dr Seydoux [gemeint ist der Fürsprecher André Seydoux, Red.] , dä isch de ou da usse.

Merci.

Mir hei’s wider im Griff.

Geng no Munition bringe für hinders Huus? Antwort.

Was wird bschtellt hinderem Huus?

Munition, vor allem Gummi.

Am hindere Wage isch d’Tür offe! Gasschprütze bereit?

Mir tüe dr se zue, wenn’d schtill hesch.

Muesch ufpasse, dä Chare isch offe.

Ig has gseh.

U i däm Chare isch dr X, dänket de dra.

Giger, geit’s?

Es geit.

Guet, dr Giger het’s im Griff.

We d’Gasschprütze ufladisch, nimm zwo oder drei, eifach was no dert schteit, u nimm no Resärve mit, für alli Fäll!

Im Momänt chöi mer nid abboue hie usse. D’Lüt tröpfele vo allne Site so langsam wider ine und sammle sech de wieder i de Journalischte inne.

Ueli, mir si dahinde bi dr Sanität. Chöi mer vüre cho?

Wär isch dert?

D’Munition.

Jaguar a Zentrale: Es git da also zimli viel Volk davore, mir müesse luege, dass mir üs chöi wehre. Me sött also bereit si, dass me üs unter Umschtände chönnt unterschtütze.

Verschtande. Dir heiget schint’s für serigi Fäll Tränegas! Antwort.

De hei mer alles begriffe. Mir hei scho igsetzt.

Mir hätte ufmunitioniert und würde usfahre.

Nimm e Sack Wurfkörper mit. – Zentrale a Jaguar: Cha me öppis abzieh bi öich?

Nenei, ke Schpur, mir wärde hert bedrängt da vorusse. Es si zvill Lüt ume, i gloube, mir tüe da mal e Hüpfer inegheie. Isch da dr Armin [Amherd, stellvertretender Polizeikommandant und Einsatzleiter, Red.] iverschtande?

Uf dä Isatz warte mir hie.

Das wär falsch jetz!

Mir hei jetz e usgibige Cher gmacht ir Inneschtadt, u es isch a allne Orte ruehig. Rathuus isch suber. Hundehütte suber, alles ruehig.

A d’Zentrale: Di ganzi Hütte ä heillosi Souerei. Überall schtöh Ässbeckeli umenand, Bschteck, nachhär hei sie da e ganze Huuffe Deckene u Züg häregschleipft zum Schlaafe. Es isch alles da, scho fei e chli vorbereitet.

Merci.

Da hei si e Schprütze zwäggmacht, e Schluuch abghänkt und üs wölle verschprütze.

Verschtande.

Es Schtilläbe, scho schön igrichtet, ds Öfeli scho schön gheizt. Da si ganzi Cartons Orangschesaft, öppe vier Liter Montagner, «Calderon» und so witer, ganzi Schtangene Zigarette.

Warte, mir hei no e verletzte Maa vo üs. Bigler Heiri. Ds Schlüsselbei, vermuetlech vom ne Schtei.

Zirka drissg Persone vo dusse richtig Bahnhof uf dr Fahrbahn. Wär vilicht guet, we me zivil chönnt asetze.

Vor em Abmarsch hei si gseit, si gönge gäge d’Kasärne.

Wie sölle mir üse verhalte, es het sech jetz da öppis ir Hodlerschtraas agsammlet, we die sötte versueche, d’Muur z’überschritte oder z’beschtige? Antwort.

I ha das mitübercho. Wen es nötig isch, gäbe mer Tränegas.

Ok, de chöi mir also i eigeter Regie oder Kompetänz handle? Antwort.

We’s nid anders geit, müesse mir üs halt mit dene Mittle wehre, wo mir hei.

Merci.

Het 70 gnue Gaswurfkörper?

Nei.

Chöit bi üs noch zwe Sack cho reiche.

Di Lüt ir Kasärne sölle sech guet schütze, mir hei hinecht ganz gfürchigi Gschoss vo Schteischlöidere sichergschtellt, wo eim also z’Tod schlöh.

Mäldig a 50, 60, 70 u 32. We dr jetz feschtschtellet, dass die amene Ort Sachbeschädigunge mache, de göht dri mit Gas. Antwort.

60 verschtande.

70 verschtande.

32 verschtande.

Ok. Dranne blibe, dass dir ir Sichtwiti sit vo dene. Die einte tüe warte, die andere fahre hindenache.

Ha ne Mäldig: Aktuell isch Bahnhofplatz, dert wärde Schibe igschlage.

Also druf ueche! Cha öpper abschiebe uf e Bahnhofplatz?

Si heige dert Schibe igschlage.

Da isch alles igschlage.

Gas dri, nümme lang frage u sueche.

Si si übere zu dä Taxischtandplätz.

Chöit dert ou Gas gäh!

Bi de Taxischtandplätz warte mit Gas. Im Momänt si si ruehig, süsch wird das wieder alles versiechet.

Di Persone, wo sech uf em Taxischtandplatz hei ufghalte, loufe jetz ds Bollwärch abwärts.

Guet, de gö si öppe i’d Rithalle. Blibet uf de Färse.

Hinder dr Heiliggeischtchirche suber.

Im Bollwärch schiesse si Züg uf d’Schtrass. Khüder.

Gas drii, pumm!

Mir hei Gas gäh, si si verschtobe Richtig Aarbärgergass.

Sehr guet. Göt i d’Aarbärgergass, chöit se vom Weisehuusplatz inäschtosse u se grad wider näh. We dir gseht, dass si sech besammle, grad dranneblibe u wider Gas drigäh!

Verschtande.

Heit dir Gägner vor öich?

Si chöme grad d’Aarbärgergass ab.

We si usechöme: Gas!

Verschtande. Gas.

Bollwärch suber. Wo sölle mir häre?

I d’Züghuusgass, we dir undedüre chöit, dass die se de grad chöit useputze, wes i dert ine flüchte.

Aarbärgergass, Züghuusgass u Weisehuusplatz suber.

Guet, tiptop! Gfallt mer. Dranne blibe, se sueche, vertribe mit Gas.

Guet, mir göh.

Me cha vo zwone Site Gas gäh, es spilt ke Rolle. Se eifach usenandtribe.

Es geit e Gruppe ds Gässli übere, Marktgass abwärts.

Guet, cha ds 35 unde grad ufeschtosse u dene mal grad e Schprutz Gas ufegäh?

Heiliggeischtchirche ruehig.

Guet. Jetz müesst dr eifach alli chlei rotiere, u we dir öppis gseht amene Ort: Dra! Müesst se eifach wörtlech furtputze.

 

[Kommentar]

Versächlichen, sexualisieren und delegieren

Wie reden sie über uns, wenn sie unter sich sind und währenddem sie Gas- und Gummigeschosseinsätze reiten? Wie werden Einsatzbefehle begründet, wer heizt ein, und stimmt es, dass die brutalsten Einsätze von Grenadieren gemacht werden, die ihre Nerven verlieren und ohne Rücksprache mit der Einsatzleitung in Aktion treten? Wie tönt die Sprache vom «Freund und Helfer», wenn das Argumentationsmäntelchen Rechtsstaatlichkeit abgelegt wird und der Berufsjargon ungehemmt zu Tage tritt?

Wir DemonstrantInnen sind für sie nichts als Dreckszeug, das es fortzuputzen gilt. Indem sie uns versächlichen, sind wir als Personen nicht mehr vorhanden und deshalb nichts mehr wert. Dieser psychohygienische Trick der Verleugnung bringt für sie nur Vorteile, sie können ruhig Gas und einen «Hüpfer» reinschmeissen: ins Zeug. Umgekehrt funktioniert dieser Trick so, dass Dinge personifiziert werden und den Stellenwert von Menschen erhalten: «Wär isch dert? – D’Munition.»

Munition braucht die Polizei, weil sie es mit gefährlichen FeindInnen zu tun hat, von denen sie «ganz gfürchigi Gschoss vo Schteischlöidere» sicherstellt, welche «eim also z’Tod schlöh». Ein klares Freund-Feind-Schema wird fortlaufend aufgebaut, ganz besonders dann, wenn diese FeindInnen plötzlich doch eher harmlos erscheinen. «Überall schtöh Ässbeckeli umenand, Bschteck, nachhär hei sie da e ganze Huuffe Deckene u Züg häregschleipft zum Schlaafe», meldet in väterlich-liebem Ton ein Grenadier, der nach der Räumung des alten «Contact» dessen «Stilleben» untersucht. Weil diese Harmlosigkeit ihm aber nicht zu sehr einfahren darf, muss sie ein Täuschungsmanöver sein, ein Hinterhalt, hinter dem Gefahr lauert: «Da hei si e Schprütze zwäggmacht, e Schluuch abghänkt und üs wölle verschprütze.»

Kein Wunder, wenn sie die Machtverhältnisse so verdrehen, dass wir zu Angreifenden, sie – bis an die Zähne bewaffnet – zu Opfern werden, die schauen müssen, «dass mir üs chöi wehre».

Und wie sie sich wehren: Geben überall einen «Schrputz» hinein, stossen vom Waisenhausplatz hinein, putzen weg und haben es wieder «im Griff». Jeder Gas- und Gummieinsatz ist für sie dementsprechend das Ausleben umgepolter männlicher Sexualphantasien und -aggressionen. «Also, druf ueche!», befiehlt Einsatzleiter Armin Amherd, und «ufeschtosse u dene mal grad e Schprutz Gas ufegäh». Nach dem Abspritzen, dem Orgasmus, folgt dann die Freude, die Erleichterung: «Guet, tiptop! Gfallt mer!» Danach ist alles wieder unter Kontrolle gebracht, eben «im Griff».

Am geilsten ist ein Einsatz natürlich für den Einsatzleiter, der am Drücker hockt und am Schaltknüppel herumhebelt. Er ist der Scharfmacher vom Dienst. Wenn einer Einwände hat gegen einen Einsatz, dann sagt er: «Gas dri, nümme lang frage u sueche» und «uf dä Isatz warte mir hie!» Und während zu Beginn der Einsätze einzelne Grenadiere häufig in Eigenregie handeln («Dir heiget schint’s für serigi Fäll Tränegas!» – «Mir hei scho igsetzt»), sichern sie sich – je heisser die Situation wird – immer mehr ab und delegieren jegliche Verantwortung auch für die kleinste Handlung an die übergeordnete Instanz. Dieses Delegieren entlastet und befreit sie von unangenehmen Konflikten mit sich selber. Sie sind ja nur die Ausführenden, tragen keine Schuld und können auf diese Weise umso hemmungsloser zupacken. Auf dass die Stadt «ruhig» und «sauber» bleibe.

Franziska Moor

Franz Moor – eine Figur aus Friedrich Schillers Drama «Die Räuber» – wurde in der WoZ routinemässig als Pseudonym verwendet bei presserechtlich heiklen Beiträgen. In diesem Fall wurde die feminisierte Version des Pseudonyms als Autorin des Kommentars vermutlich deshalb gewählt, um der Stadtpolizei Bern nicht einen Namen auf dem Tablett zu servieren, an den sie sich hätte halten können, um herauszufinden, wie die Polizeifunkaufnahme damals zur WoZ gekommen ist.

 

[Kasten]

Zaffaraytschule – Chronologie der Ereignisse

 

Donnerstag, 10. Dezember

Mehr als 500 Zaffaraya-SympathisantInnen ziehen mit Albisetti-Masken und Fackeln durch den Abendverkauf. Die Medien ereifern sich an kleinen Ladendiebstählen, und der «City-Verband Bern» fordert die Polizei auf, «diesem Treiben ein Ende zu setzen» und die Demonstrationen «im Entstehen aufzulösen».

Freitag, 11. Dezember

Diverse Veranstaltungen in der Reitschule. Leute von der Hamburger Hafenstrasse zeigen ihr Video.

Samstag, 12. Dezember

Am Nachmittag Demo mit rund 1000 TeilnehmerInnen in der Innenstadt. Solidaritätsbezeugung der Leute von der Hafenstrasse im Bahnhof. Vor der Polizeikaserne wird auf Schneebälle mit Tränengas geantwortet. Am Abend Filme und Konzerte in der Reitschule.

Sonntag, 13. Dezember

VV in der Reitschule. Die vorbereitete Vereinbarung zwischen IKuR und Gemeinderat zur «einstweiligen Nutzung» der Reitschule wird abgesegnet. Dem Betrieb eines «Kultur und Begegnungszentrums» im ehemaligen AJZ bis mindestens zur Abstimmung über die NA-Abbruchsinitiative (12. Juni 1988) sollte nun nichts mehr im Weg stehen. Diskutiert wird ein internes Betriebskonzept (Grundsätze, Strukturen, Geld). Differenzen bestehen noch in der Frage der Löhne und Gagen.

Montag 14. Dezember

In Bern stirbt der ehemalige Gemeinderat und Polizeidirektor Klaus Schädelin, Autor des Buches «Mein Name ist Eugen». Vor seinem Tod hat Schädelin per Abschiedsbrief eineN der GemeinderätInnen gebeten, Möglichkeiten zu schaffen, um das Zaffaraya weiterhin existieren zu lassen.

Donnerstag, 17. Dezember [nach Redaktionsschluss, Red.]

Frühmorgendliche Protestaktion vor dem Gymnasium Neufeld gegen die Sanktionen der Schulkommission (vgl.WoZ Nr. 50 /1987]. Demo-Besammlung um 16 Uhr auf dem Rathausplatz. Dieser Termin fällt nicht unbeabsichtigt mit dem Adolf-Ogi-Umzug zusammen [Ogi wurde am 9. Dezember 1987 in den Bundesrat gewählt, fl.]. Die Organisatoren der Ogi-Feierlichkeiten stiessen übrigens bei ihrer Suche nach fähnchenschwingenden Kindern bei den stadtbernischen Primarschulen auf unnachgiebigen Widerstand. Die Gruppe «Zorn und Zärtlichkeit» stellt auf dem Bärenplatz – mit Bewilligung! – ein Tipi auf. Am Abend Fest mit Musik in der Reitschule.

Seit jenen Tagen ist das Kulturzentrum Reithalle in Bern nicht mehr wegzudenken und weist eine wechselvolle Geschichte auf Bisher sind fünf bürgerlichen Versuche, das Zentrum per Volksinitiative zu schliessen, gescheitert.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5