Faires Angebot oder Klotz am Bein?

Im Oktober 2005 hat der Kanton Bern einen neuen Anlauf genommen, die 104 Pfarrhäuser, die er noch besitzt, an die Kirchgemeinden zu verkaufen. Den aktuellen Stand fasst Doris Haldner, die Leiterin Portfoliomanagement des kantonalen Amts für Grundstücke und Gebäude, so zusammen: «26 Kirchgemeinden haben auf die neue Offerte noch nicht geantwortet; 45 prüfen das Angebot zurzeit; zehn Pfarrhäuser sind verkauft, und zwar in den Gemeinden Biel, Boltigen, Corgémont, Gsteig bei Gstaad, Kappelen, Kirchlindach, Lauperswil, Münsingen, Oberbalm und Wattenwil. Die restlichen Kirchgemeinden haben definitiv abgesagt.»

Das neue Angebot

Die Initiative zum Verkauf der Pfarrhäuser geht zurück auf eine Motion der SVP-Grossräte Hans Bichsel und Rudolf Bieri, die der Rat in der Sommersession 2003 überwiesen hat (siehe «saemann» Nr. 8 / 2003). In der Folge zeigte sich, dass Finanzdirektor Urs Gasche Recht hatte, als der im Parlament sagte: «Wir würden diese Häuser noch so gerne los werden. Die Bereitschaft, sie zu übernehmen, ist jedoch nicht übertrieben gross.» Umso mehr, als der Kanton sie vorerst zum Verkehrswert anbot – zu einem Preis also, der die häufig sanierungsbedürftigen, denkmalgeschützten und mit der Wohnpflicht der PfarrerInnen («Residenzpflicht») belasteten Liegenschaften meistens von vornherein zum untragbaren Risiko werden liess.

Im Oktober 2005 unterbreitete der Kanton deshalb den Kirchgemeinden ein neues Abgebot, in dem der Verkaufspreis nicht mehr auf Grund des Verkehrswerts, sondern aufgrund des Ertragswerts der Pfarrhäuser errechnet worden war. Unterschieden wird jetzt zudem der Ertragswert 1 vom Ertragswert 2 – je nachdem, ob das konkrete Pfarrhaus als Dienstwohnung genutzt wird oder nicht. Eine Nachschusspflicht an den Kanton soll dann gelten, wenn die Residenzpflicht nach dem Kauf aufgehoben wird; wird die Liegenschaft innert 25 Jahren weiterverkauft, soll der Kanton am Gewinn zur Hälfte beteiligt sein.

Für Hansruedi Spichiger, den kantonalen Beauftragten für kirchliche Angelegenheiten, ist das «ein faires Angebot»: «Wenn man die Dienstwohnungsmiete des Pfarrers berücksichtigt und den Betrag, den die Kirchgemeinde bisher für die Miete der Diensträume im Pfarrhaus dem Kanton entrichten musste, dann kommt sie nach dem Kauf sofort auf eine Bruttorendite von 8 bis 9 Prozent.» Deswegen, sagt er, «sollte das Risiko des Kaufs nicht überschätzt werden».

Die Skepsis bleibt

Zu den Kirchgemeinden, die auch auf das neue Kaufangebot nicht eingetreten sind, gehört Meikirch. Hier bildet das Pfarrhaus (das als Dienstwohnung genutzt wird) zusammen mit der Kirche, dem Kirchgemeindehaus, einem altem Bauernhaus und einem Nebengebäude eine historisch gewachsene Einheit. Der Präsident dieser Kirchgemeinde ist Willy Oppliger – von Beruf Leiter der Fachstelle Finanzen der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.

Im Kirchgemeinderat habe man diskutiert, erzählt er, was der Besitz des Pfarrhauses bringen würde. Die Antwort sei klar: «Weil die Residenzpflicht besteht, ändert sich in der Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes nichts.» Diskutiert worden sei auch, zu kaufen, um die bauliche Einheit zu sichern. Hier habe man sich gesagt, dass der Kanton zur Umsetzung des Denkmalschutzes mehr Mittel habe als die Kirchgemeinde. Gegen Kaufverhandlungen ausschlaggebend sei deshalb die unvermeidliche finanzielle Mehrbelastung der Kirchgemeinde gewesen.

Für diese Mehrbelastung bietet die Landkirchgemeinde Meikirch mit 1850 Mitgliedern und Gesamteinnahmen von 425000 Franken im Jahr wohl ein typisches Beispiel: Im aktuellen Budget sind gut 27 Prozent des Ertrags an den Liegenschaftsaufwand gebunden (Zinsen, Abschreibungen und Unterhalt vor allem für die Kirche und das  Kirchgemeindehaus). «Kauften wir das Pfarrhaus», sagt Oppliger, «würde sich dieser Anteil auf knapp 40 Prozent erhöhen.» Bei den anderen Posten müssten nach einem Kauf demnach gut 12 Budgetprozente eingespart werden. Sparmöglichkeiten bestünden aber, so Oppliger, nur bei den kirchlichen Aufgaben und beim Verwaltungsaufwand, also bei Jugendarbeit, kirchlichem Unterricht, bei der Sonntagsschule, der Altersarbeit, verschiedensten Tätigkeiten und Veranstaltungen, beim Organisten oder beim Sekretariat. Ein Abbau dieser kirchlichen Aufgaben zu Gunsten der Liegenschaften komme für den Kirchgemeinderat in Meikirch nicht in Frage.

Das Kaufangebot als Dilemma

Dass sich gerade die kleineren Kirchgemeinden auch mit dem neuen Kaufangebot schwer tun, hat also den Grund in der Alternative, sich entweder weiterhin auf die bisherigen, als nötig erachteten Aufgaben zu konzentrieren oder vermehrt zur Verwaltung des gewachsenen Liegenschaftenbesitzes überzugehen. In Meikirch hat man sich entschieden.

Auf die (hypothetische) Frage, ob die Kirchgemeinde das Pfarrhaus übernähme, wenn es ihr vom Kanton Bern geschenkt würde, sagt Oppliger nach einigem Nachdenken: «Besprochen haben wir das im Kirchgemeinderat natürlich nicht. Aber wenn es nach mir ginge: nein. Das Pfarrhaus würde auch so zur finanziellen Belastung.»

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