Ein kleiner «Vreneli»-Boom

In ihrer mittlerweile siebenten Produktion bringt die Freilichtbühne Schwarzenburg eine legendäre Vorfahrin ihrer Nachbargemeinde auf die Bühne: Ds Vreneli ab em Guggisbärg. Otto von Greyerz hat in seiner Volksliedsammlung «Im Röseligarte» (1908) darauf hingewiesen, das Lied vom Vreneli, das «alte Guggisberger Lied», stamme aus dem frühen 18. Jahrhundert und ihm liege «eine wirkliche Begebenheit zugrunde». In seinem letzten Roman, «Gastlosen» (1986), ist Walther Kauer der unglücklichen Liebesgeschichte vom Vreneli und «Simes Hansjoggeli ännet em Bärg» nachgegangen. Zwar ist, wie er im Roman festhält, «geschichtlich eben zu wenig überliefert, schriftlich schon gar nichts».

Deshalb hat er historische Nachforschungen betrieben und seine fiktive Vreneli-Geschichte in die soziale und politische Situation des Schwarzenburgerlandes im späten 18. Jahrhundert eingeschrieben. Diese Geschichte hat er dann für Radio DRS auch zu einem Hörspiel verarbeitet, das Mitte Juni 1987 – kurz nach seinem Unfalltod an 27. April – ausgestrahlt worden ist. Nun hat der Theaterregisseur Markus Keller aus beiden Vorlagen eine Theaterfassung für die Freilichtbühne Schwarzenburg montiert.

Kauers Geschichte: Zur Zeit des Ancine régime ist Vrenelis Mutter Anna als junge Frau nach einer Vergewaltigung durch den Landvogt schwanger geworden. Das Kind, den «Bastard», hat sie später, auf der Flucht mit den verfolgten Fahrenden, zusammen mit ihrem Geliebten Ruedi, umgebracht. Ihr gemeinsames Kind, das Vreneli, wächst, nachdem Ruedi erschossen und Anna in den Selbstmord getrieben worden ist, als angenommenes Kind in der Ruchmühle auf. Seine Liebesbeziehung zum wohlhabenden Bauernsohn Hansjoggeli zerbricht, als durch missgünstige Mäuler bekannt wird, Vreneli sei die Tochter einer Kinds- und Selbstmörderin. Der verzweifelte Hansjoggeli fällt – im Dienst des untergehenden Ancien régime – nach einer sinnlosen Winkelried-Tat in der Schlacht von Neuenegg (1798). Und, so schliesst Kauers Roman, «das Vreneli hat keiner jemals mehr gesehen. Kein Mensch weiss, ob es in unbekannte Ferne geflohen ist oder ob es am Ende den gleichen Weg gewählt hat wie seine Mutter Anna: in die Tiefe des Mühlenteiches.»

Die diesjährige Produktion der Freilichtbühne Schwarzenburg scheint begünstigt durch einen sich abzeichnenden «Vreneli-Boom». Die Interpretation des alten Guggisberg-Lieds von Stephan Eicher klettert zur Zeit die Hitparaden hinauf, zur Schwarzenburger Premiere will der Fischer Verlag in Münsingen Kauers «Gastlosen» als Taschenbuch neu herausbringen, und auf Herbst plant auch das Kellertheater 1230 in der Berner Altstadt, eine Bühnenfassung des Vreneli-Stoffes zur Aufführung zu bringen.

In der WoZ erschien der Beitrag unter dem Titel: «Vreneli ab em Guggisbärg».

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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