Die feminisierte WoZ Nr. 37/1987

 

Die Hausmitteilung der WoZ Nr. 37/1987 haben die beiden feministischen Linguistinnen Thérèse Flückiger und Luise F. Pusch geschrieben: «Liebe Leserinnen (Männer sind natürlich mitgemeint)  – es wird ernst. In dieser Woche probiert die WoZ – nicht den Aufstand, aber die ‘Totale Feminisierung’ der Sprache.» Konkret: «Das Femininum wird also in dieser Nummer ganz genau so benutzt wie sonst das Maskulinum. Wenn von Politikerinnen und Griechinnen die Rede ist, sind die Männer mitgemeint, so wie sich sonst Frauen bei ‘die Politiker’, ‘die Griechen’ mitgemeint fühlen sollen.»

Bei dieser Ausgabe der Zeitung arbeitete ich als Nummernverantwortlicher mit, nachdem ich zuvor auch in der Vorbereitungsgruppe «WoZ-Luise F. Pusch» dabei gewesen war. Für meine geleisteten Dienste haben mir Flückiger und Pusch im Impressum der WoZ Nr. 37/1987 als presserechtlich Verantwortlichem dieser Ausgabe den Ehren-Namen «Frieda Lerche» zuerkannt.

In der folgenden Ausgabe Nr. 38/1987 hat die Redaktion mit verschiedenen Beiträgen das Experiment reflektiert (Leserinnenreaktion – insbesondere auch von pikierten Mitgemeinten – wurden danach noch über Wochen dokumentiert). Hier folgen zwei Beiträge aus der Nummer 38: ein ungezeichneter kurzer Artikel zu den Vorbereitungsarbeiten des Experiments, den vermutlich ich verfasst habe und mein persönlicher Kommentar zum Nachhinein.

 

Die Vorbereitung des Experiments

«Angesichts des sprachpolitisch bisher Erreichten ist es offenbar Zeit für eine nüchterne Strategie-Diskussion. Ich bin der Ansicht, dass sich die totale Feminisierung als natürliche (Übergangs-)Lösung – so etwa für die nächsten zwei- bis dreitausend Jährchen – anbietet.» Diesen Ausspruch tat die feministische Linguistin Luise F. Pusch im Frühjahr in einem längeren Gespräch mit der WoZ (Nr. 18/1987). Die Idee war naheliegend. Pusch müsste einmal eine WoZ nach ihren Kriterien endredigieren, damit klarer würde, was die totale Feminisierung ausserhalb des akademisch-theoretischen Rahmens bedeuten (und bewirken) könnte.

Die Idee wurde vom WoZ-Plenum skeptisch bis interessiert aufgenommen. Eine Projektgruppe «WoZ-Luise F. Pusch» konstituierte sich, die sich zum Teil aus WoZ-Leuten, zum Teil aus freien Mitarbeiterinnen zusammensetzte. An einer ersten Sitzung versuchte die Gruppe, das Projekt zu beschreiben: «Die betreffende WoZ-Nummer nimmt thematisch keine Rücksicht auf die Schlussredaktion. Das Ziel ist, alle wirklich anfallenden, aktuellen Themen der Woche zu ‘feminisieren’. Uninteressant wäre, eine Art ‘akademische’ WoZ zu planen, in der lediglich ausgewählte Texte (z.B. die ‘Kultur’-Seiten) überarbeitet würden oder diese mittels Mehrfachfassungen metasprachlich abgehoben würden.»

Die Frage, was das Projekt bringen soll, beantwortete die Arbeitsgruppe wie folgt:

«1. In der (WoZ-)Öffentlichkeit soll eine möglichst breite Diskussion ausgelöst werden über Sprache und Sprachbewusstsein.

2. Auf der Seite der MacherInnen soll das Projekt die Arbeit am eigenen Sprachbewusstsein fördern.

3. Das Projekt soll kein einmaliger Luftballon sein, sondern bleibende Spuren hinterlassen. Ob es allerdings mit einfachen Konventionen (im Sinn des grossen ‘I’ getan sein wird, müssen wir herausfinden.»

Bei der Detailplanung zeigte sich, dass ein «Büro Pusch» eingerichtet werden musste, das den Arbeitsanfall bewältigen könnte und während der ganzen Produktion Präsenz garantieren würde. Die WoZ bat deshalb die Berner Linguistin Thérèse Flückiger, am Experiment mitzuarbeiten. Der Zeitpunkt des Experiments wurde durch die terminlichen Möglichkeiten von Luise F. Pusch bestimmt.

 

[Kommentar]

Wibsche, nicht Feminist

Ich habe – als Mann – in der Vorbereitungsgruppe des hier diskutierten Projekts mitgearbeitet, und ich war dafür verantwortlich, dass die Produktionsabläufe der WoZ 37/1987 zwischen Redaktion, «Büro Pusch» und Satz/Lay-out klappten. Ich habe mich engagiert für das Zustandekommen einer «feminisierten» WoZ, obschon ich wenig von Feminismus verstehe und mich dagegen verwahren würde, als «Feminist» bezeichnet zu werden. «Feministen» sind Männer, die unter Verwendung einer angelesenen, frauensprachlichen Rhetorik ihre patriarchale Pfründe gegenüber feministisch argumentierenden Frauen verteidigen. Sie sind also bildungsprivilegierte Macker.

Als ein um seine Emanzipation relativ bemühter Mann habe ich – ohne softe Anbiederung an die gesellschaftspolitische Situation der Frauen, die nicht die meine ist – jedoch Gründe, die Bemühungen der feministischen Linguistik mit grösstem Interesse zu verfolgen und zu unterstützen, soweit mir das möglich ist.

Ohne Zweifel war das Projekt der Aufklärung, die die Emanzipation des Menschen von den unterdrückenden gesellschaftlichen Verhältnissen zur Utopie machte, weitestgehend ein Männerprojekt. Nahezu seit zweihundert Jahren reden nun geistreiche männliche Menschenfreunde von der Emanzipation des Menschen und meinen jene des Mannes. Seit zwanzig Jahren haben sie (später: wir) zwar kapiert, dass es sich besser macht, in unsere flammende Alternativspunten-Freiheitsrhetorik die Frauen mit einzubeziehen – je später der Abend, desto weniger ist Streit gewünscht mit der Frau, mit der Mann ins Bett will.

Wir linken Männer betreiben auf ganz spezielle Art krassen Selbstbetrug. Wir wollen, dass fraulicherseits an unserem aufklärerischen Leiden an der Klassen- und Rassenfrage mitgelitten wird, und wir wollen Frauen zur Hand haben. Deshalb beschwören wir die eine Aufklärung, die eine Vernunft, die eine Gerechtigkeit und die eine Emanzipation, obschon wir wissen, dass all diese Begriffe diametral Verschiedenes meinen, je nachdem, ob sie sich auf Männer oder Frauen beziehen. Hier und heute sind aber Männer oder Frauen Menschen, beides keinesfalls.

Daraus folgt: Von einer Emanzipation des Menschen zu reden, verwischt in unzulässiger Weise die real herrschenden Gegensätze zwischen jenen, die unter dem Begriff «Mensch» subsummiert werden.

Was stattfindet, ist Geschlechterkampf. Die Befreiung des Mannes führt über die solidarische Arbeit am Befreiungskampf der Frauen. Auf der Ebene der Spracharbeit habe ich – nicht zuletzt von Thérèse Flückiger und Luise F. Pusch letzte Woche – gelernt: Die Sprache muss so lang zerlegt, umgedeutet und ausdifferenziert werden, bis sie taugt, einerseits über die Emanzipation von Männern und andererseits über jene der Frauen zu reden. Über die Emanzipation der «Menschen» / «Menschinnen» / «Wibschen»* mag ich erst wieder reden, wenn ich sicher bin, dass ausschliesslich von einem Mann geredet wird, wenn aus berufenem Mund von der «Dimension des Autors» (Christa Wolf) die Rede ist.

* Der Begriff «Wibsche» stammt aus Gerd Brantenbergs «Die Töchter Egalias» und meint «Mensch». 

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5