Der Kniefall

Hannes Britschgi, Chefredaktor des Nachrichtenmagazins «Facts», erhält eine Busse von 4000, der Grafiker Art Ringger und der Texter Domenico Blass Bussen von je 1800 Franken. Darüber hinaus müssen die drei solidarisch eine Genugtuung von zweimal 6000 Franken bezahlen. Ein hartes Urteil wenn man bedenkt, dass ein «Weltwoche»-Journalist im letzten August zu einer Genugtuung von 5000 Franken an Adrian Gasser verurteilt worden ist, weil sein Artikel, wie das Bundesgericht befand, Gasser habe «fertigmachen» wollen.

Fertigmachen wollte die Fotomontage in der «Facts»-Rubrik «Demontage» vom 8. März 2001 in der Tat niemanden: Gezeigt wird das Innere eines Wohnwagens, links im Vordergrund stehend Stéphanie Grimaldi, rechts im Hintergrund auf einem Bett fläzend Franco Knie. Die Prinzessin trägt, so «Facts»-Anwalt Simon Canonica in seinem Plädoyer, «für heutige Verhältnisse völlig normale Unterwäsche, die allenfalls als Reizwäsche bezeichnet werden mag», der Zirkusdirektor und Elefantendompteur als knappes Elefantenkopf-Tanga «ein in jedem Sexshop erhältliches Sex-Gadget». Durchs Fenster im Hintergrund späht Fürst Rainier in den Wagen und die Unterzeile lautet: «Prinzessin Stéphanie von Monaco ist ganz scharf auf Franco Knies neuste Elefantennummer.» Gegen diese Montage reichten die beiden Prominenten wegen «Beschimpfung» Klage ein.

Für Britschgi war diese «Demontage» ein augenzwinkernder Witz, ein «Schabernack im Intimbereich» ohne jeden Vorsatz zur Ehrverletzung. Dass Knie, der seine Zirkusprogramme in den letzten Jahren erfolgreich mit clownesken und kabarettistischen Beiträgen angereichert hat, im Ernst verletzt worden sei, konnte er sich nicht vorstellen. Für ihn sei wichtig gewesen, dass der Kern des Sachverhalts nicht beleidigend und die Menschenwürde der Karikierten gewahrt geblieben sei. Wichtig sei zudem, dass der Witz der Darstellung im «kulturellen Kontext» der konkreten Zeitschrift verstanden worden sei. Er stehe zu dieser Satire.

Dass es vor Gericht um eine «Satire» ging, war für das «Facts» klar. Sein Anwalt begann deshalb sein Plädoyer mit dem Satz: «Wir setzen uns heute mit einem satirischen Werk auseinander.» Anders sahen das die Anwälte der Gegenpartei. Sie bestritten den satirischen Gehalt der Montage, weil deren «einziger Inhalt die derbe, zotenhafte Verunglimpfung» des prominenten Paares und die Unterstellung eines «abartigen sexuellen Verhältnisses» sei.

Fachkundige Unterstützung erhält diese Argumentation von Mischa Charles Senn. Der heutige Prorektor der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich hat 1998 seine Dissertation unter dem Titel «Satire und Persönlichkeitschutz» veröffentlicht. Darin definiert er «Satire» als «gattungsübergreifendes Prinzip», das kumulativ soziale, ästhetische und aggressive Merkmale aufweisen müsse. Beim aggressiven Merkmal gehe es um den Angriff auf «eine Autorität, eine Ordnung oder eine andere Macht», weshalb Institutionen oder Personen und Personengruppen als deren Repräsentanz Objekte der Satire seien.

Auf den konkreten Fall angesprochen bezweifelt Senn gegenüber der WoZ, ob hier überhaupt eine «Satire» vorliege: Zwar sei als aggressives Merkmal der Angriff «gegen eine ’Institution’» noch «einigermassen feststellbar». «Allerdings ist nicht nachvollziehbar, wofür Franco Knie und Stéphanie von Monaco als Repräsentanten eines typischen, eventuell verwerflichen Verhaltens herhalten müssten. Fehlt diese Ausrichtung, dann liegt wohl ein Angriff vor, dieser ist aber weitgehend persönlich motiviert, womit die Montage als Polemik zu interpretieren ist.» Eine Polemik aber sei im Rechtssinn eine «Schmähkritik», die «in der Regel keinen Rechtfertigungsgrund» habe und «daher nicht schützenswert» sei. Deshalb liege bei der «Facts»-Montage, wie vom Zürcher Bezirksgericht befunden, «eine Persönlichkeitsverletzung» vor.

Dieser Einschätzung widerspricht Peter Studer als Präsident des Schweizer Presserats. Für ihn handelt er sich bei der «Facts»-«Demontage» zweifelsfrei um eine Satire, die zwar «krass» und «geschmacklos», nicht aber ehrverletzend sei. Für ihn entscheidend ist die Frage nach dem «Sachverhaltskern»: Was ist die eigentliche Aussage? Er zieht einen Vergleich zum Fall Hans W. Kopp gegen den «Tages-Anzeiger» von 1988. Damals habe man aus einer Karikatur und einer Glosse den Sachverhaltskern herauslesen können, dass Kopp ein Geldwäscher sei – eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Bei der «Facts»-Montage sei das anders: Der Sachverhaltskern hier sei die Tatsache, dass zwischen dem prominenten Paar eine intime Beziehung bestehe, was allgemein bekannt gewesen und nie bestritten worden sei. Die «satirische Einkleidung» dieses Sachverhalts – der Zirkuswagen, die Reizwäsche, der Tanga, der Fürst am Fenster – sei deshalb durch die verfassungsmässig garantierte Kunstfreiheit und die Informationsfreiheit gedeckt. Studer ist nicht bereit, «die Berechtigung zur Satire auf Missstände oder verwerfliches Verhalten» einzugrenzen.

Noch liegt die schriftliche Begründung des Urteils gegen das «Facts» nicht vor. Trotzdem sagt Britschgi schon jetzt, dass das Urteil «mit grosser Wahrscheinlichkeit» weitergezogen werde. Zu Recht. Denn es muss weg. Dieses Land braucht mehr Satire und weniger höchstrichterliche Geschmackskritik.

Ein Jahr später wurden die drei Journalisten vom Zürcher Obergericht freigesprochen, weil die «satirische Fotomontage im ‘Facts’ […] die Ehre von Stéphanie Grimaldi und Franco Knie» nicht verletze (vgl. «Ein Sieg für die Satire» in: NZZ, 1.3.2003). Gemeldet wurde bei dieser Gelegenheit auch, das klagende Paar wolle das Urteil nicht akzeptieren. Von einer weiteren Verhandlung vor dem Bundesgericht findet sich im Netz allerdings keine Spur.

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