Das modernisierte Geheimnis

Am 27. Oktober 1988 hat die damalige Bundesrätin Elisabeth Kopp ein Telefon zu viel gemacht. Als Justizministerin warnte sie ihren Ehemann Hans W., dass gegen eine dubiose Firma, in deren Verwaltungsrat er sass, wegen Geldwäscherei ermittelt werde. Die eingesetzte parlamentarische Untersuchungskommission befasste sich nicht nur mit diesem Telefongespräch, sondern auch mit der Bundesanwaltschaft. Dort fand sie Fichen und Dossiers von rund 900’000 Personen und Organisationen. Der so genannte PUK-Bericht, den diese Kommission verfasste, war der Anfang des Fichenskandals (siehe Kasten).

Die Empörung landauf landab war gross. Auf dem Bundesplatz demonstrierten am 3. März 1990 35’000 Personen für die Abschaffung der Schnüffelpolizei, die ihr Handwerk seit 1889 hundert Jahre lang ohne gesetzliche Grundlage betrieben hatte. Mit dem gleichen Ziel wurde die «SoS-Initiative – Schweiz ohne Schnüffelstaat» lanciert. Aber Empörung ist kein politisches Programm. Lange bevor die Initiative im Juni 1998 endlich zur Abstimmung kam und mit 75,1 Prozent Nein-Stimmen abgeschmettert wurde, hatte ein ideologisches Rollback eingesetzt: Staatschutz sei eben notwendig, man müsse ihn nur reorganisieren, modernisieren und verrechtlichen.

Am 1. Juli 1998 wurde das «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit» (BWIS] in Kraft gesetzt. Als Aufgaben des Staatschutzes werden darin «vorbeugende Massnahmen» definiert, «um frühzeitig Gefährdungen durch Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst und gewalttätigen Extremismus zu erkennen». Zu diesem Zweck sollen die Staatschützer im «Dienst für Analyse und Prävention» mit ihren altbewährten Methoden recherchieren – nur die präventive Telefon-Abhörung wurde im Gesetz nicht legalisiert – und danach neue Fichen schreiben. NZur Erleichterung nicht mehr auf Papier, sondern in den einschlägig vernetzten Fichencomputer «Isis».

Seit Mitte der Neunzigerjahre sind nach Schätzung des kritischen Staatschutzexperten Heiner Busch «rund 150’000 Menschen» elektronisch fichiert worden – ungefähr vier Fünftel davon seien, vermutet er, Migrantinnen und Migranten.

Seit die offizielle Politik 1998 gemerkt hat, dass über die Schnüffelstaat-Affäre endgültig Gras gewachsen ist, diskutiert sie nach der Reorganisation, der Modernisierung und der Verrechtlichung des Staatsschutzes seinen weiteren Ausbau. Ob Rechtsextreme Schlägereien veranstalten, ob «Faschos» auf «Antifas» treffen, ob GlobalisierungsgegnerInnen demonstrieren, Fussball- und Eishockeyhooligans randalieren oder aus Anlass von spektakulären Anschlägen – immer erklingt aus dem Untergrund des Bundeshauses der gleiche Refrain: Der Staatschutz ist zu schwach und braucht mehr Befugnisse.

Zurzeit wird deshalb an einer Revision des BWIS gearbeitet:  Die Aufgaben des Staatschutzes sollen erweitert werden um vorbeugende Massnahmen gegen «Rassismus und organisierte Gewalttätigkeit im Zusammenhang mit Publikumsveranstaltungen (insbesondere Hooliganismus)». Wieder ins Gesetz aufgenommen werden soll der «Propaganda-Beschluss», den der Bundesrat 1948 einführte und 1998 ausser Kraft setzte. Danach soll «Propagandamaterial mit rassendiskriminierendem oder zu Gewalt aufrufendem Inhalt» beschlagnahmt und eingezogen werden. Und nach dem Anschlag vom 11. März 2004 in Madrid ist nun auch der «grosse Lauschangriff» wieder salonfähig geworden. Erlaubt werden soll mit der Revision auch das präventive Abhören von Telefonen und das Verwanzen von Privaträumen.

So wie es aussieht, wird das gesetzliche Korsett des Staatschutzes also in absehbarer Zeit erweitert, damit er wieder mehr tun dürfen soll als er heute von Gesetzes wegen tun darf. Im Übrigen ist, was er wirklich tut, sowieso geheim.

 

[Kasten]

Schnüffelstaat-Archiv

Nach dem Auffliegen der Fichenaffäre wurde 1989 klar, dass der schweizerische Staatschutz nicht vor allem konkrete Verdachtsfälle abgeklärt, sondern über Jahrzehnte eine flächendeckende politische Überwachung der Bürgerinnen und Bürger betrieben hatte. Ab Dezember 1989 bemühten sich deshalb Zehntausende von ihnen darum, Einsicht in ihre Fichen und Staatschutzakten zu erhalten.

Gleichzeitig entstand das «Komitee Schluss mit dem Schnüffelstaat», das in den folgenden Jahren ein umfassendes Archiv von Presseartikeln und Materialien rund um die Themen Staatsschutz und Polizei, Datenschutz und Grundrechte themenzentriert archivierte sowie alle jene Fichen und Dossiers sammelte, die ihm übergeben wurden.

1999 entstand dann die Stiftung Archiv Schnüffelstaat Schweiz (ASS), die sich den Zweck gab, alles bisher gesammelte und alles noch eintreffende Material als Depositum dem Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich zu übergeben. Der Geschichtsforschung von unten stehen deshalb heute die Fichen und Dossiers von rund 600 Personen und Organisationen zur Verfügung. Das Sozialarchiv hat umfassende Findmittel erstellt und garantiert die Gewährleistung der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes.

In «moneta» erschien der Beitrag unter dem Titel «Staatschutz revisted».

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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