Im Brombeergestrüpp

 

I

 

Freundlich geschottert schwingt sich der Weg an der Flanke.

Schlaglöcher ja, aber mehr als den Misstritt riskiert hier keiner,

denn wenig bedrohlich sind Strecke und Landschaft.

Erhobenen Haupts trägt man seinen bescheidenen Trotz,

immer ging’s irgendwie weiter ohne den Schwenk

auf die hart begradigten ebenen Pisten des Zentrums.

Keiner soll sagen, man komme, geführt im Vertraun

auf die uralten Werke der Erosion, nicht ans Ziel.

So trägt man den frei gewählten Eigensinn weiter,

und tritt über eine der Kuppen aus einer der Kurven

und stockt: Jetzt steht man, nach so langer Zeit, unvermittelt

am Ende des Wegs. Man steht vor der brombeerverwachsenen

Wand und weiss: Das war’s und zur Umkehr ist’s

längstens zu spät. Man denkt an den übriggebliebenen

Notproviant, und man steigt übers erste Dornengestrüpp,

man steigt übers zweite und dritte und geht ohne Richtung

und Ziel ins Dickicht und hofft, was nicht hilft und

nicht schadet: Geh ich verloren, so doch nicht mir selbst.

 

(15.1.2012; 28.12.2016)

 

II

 

Es ist nun schon eine lange Verlorenheit her,

seit die Gefährten mit Kompass und Karte

abhanden gekommen sind. Sie lächelten nur,

als ich im Unübersichtlichen fehlging, wie

sie wussten. Sie folgten ihrer richtigen Spur,

ich meinem Traum. Seither

                                                    durchsteig ich

verwunschnes Gelände. Nicht unangenehm,

meist hügliges Abseits, und manchmal ein

bisschen einsam vielleicht. In der Sprache

der Welt, irr ich ausschliesslich durch Unkraut,

doch ab und zu blüht’s. Weit

                                                     hinten, weit drüben

– oder träumt mir das nur? – erahne ich Rufe:

Kehrt um, in die richtige Spur. Wir erzählen

unsere wahre Geschichte, und teilst du sie,

bist du einer

                        von uns. Mag sein, sie rufen

nach mir, und mag sein, es gibt eine wahre

Geschichte. Aber ich brauche Kompass und

Karte und Wahrheit nicht mehr. Die Augen im Kopf

genügen, und zwischen Sträuchern und Kraut

zunehmend ziellos,

                                    mich meines trostfreien Lebens

zu freuen. Treu zu mir selber spinn ich

Gedankenfäden zu meinen Geschichten und

kenne den Preis: Im Echolosen ähneln sie sich

von nun an Tag für Tag mehr.

 

(14./15.6.; 6.+13.7.2014; 26.12.2018, in einer früheren Fassung lautete der Titel «Durchs Kraut», als Nachtrag in die «Gedichte 3» eingefügt: 1.6.2022)

 

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