Aufgehobene Tischordnung

 

Ich trinke, Freunde, und klar: Freundinnen auch,

auf unser einziges Leben, ich trinke auf das,

was uns davon noch bleibt. Ach ja,

ihr schweigt, ich versteh’s, denn richtig

gemütlich warn meine Trinksprüche nie.

Ich weiss es und weiss keine andern.

 

Es ist so: Ich wurde als Kind im Echoraum

meiner Herkunft nicht stumm, sondern einer,

der Wörter braucht, ohne mit Ohren zu rechnen.

So selten wie möglich hab ich um Antwort

geredet. Mir zeigte früh verspiegelt die Welt

mein Gegenüber stets dort, wo es nicht war.

Drum hab ich gelernt, dass meine Rede nicht trägt.

Später schmiegte sie sich in das Rumoren

der Öffentlichkeit als überzähliger Summton.

In seinen stärksten Momenten summte er

hörbar: Auch du hast nicht Recht.

 

Langezeit hauste ich so in eurem

betretenen Schweigen, das uns verband.

Nach und nach huschten die meisten

in die Kulissen des wirklichen Lebens,

nickten zum Abschied peinlich berührt.

Als einer der Letzten bin ich am Tisch

der gemeinsamen Hoffnung sitzengeblieben.

 

Ich habe beim Hoffen den Abgang verpasst.

Mit traumloser Neugier seh ich seither

die restlichen Jahre kommen und gehn.

 

(4.12.2011, 30.12.2015)

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