1995

 

[53: Titel; 54]

Durch die Kamine

 

Was denkt, lebt von sich restlos abgetrennt

als ausser sich gestellt und als Ruine,

als maschinell gestanztes Zeitfragment,

das seinen Traum von Ganzheit nicht mehr kennt,

von sich gelebt im Rundlauf der Routine.

 

Der grelle Bilderschein ist Fundament

des Markts. Er ist die grosse Glücksturbine,

gespeist mit Tod. In diesem Kontinent

ist nur das Geldgeschminkte existent,

auch wenn noch anderes zu leben schiene.

 

Denn das, was jetzt noch Wurzeln schlägt, verbrennt

im Widerwahn und geht durch die Kamine,

dem Ganzen eingebrannt und immanent.

Der Ascherest als zähes Rudiment

zergeht zu Öl und dient so der Maschine.

(1998)

 

[55]

Die Scham ist vorbei

 

Maschinen dienen zuverlässig. Makel

entstellt Gewordenem das Angesicht.

Gemachtes atmet nicht, es wirkt. Am Licht

der Sonnendrähte hängt das Weltspektakel.

 

Gestänge tragen dort, wo Knochen brechen,

und Blut verdampft, wo Öl Motoren treibt.

Wo der Gerätepark Geschichte schreibt,

lässt er ein Wahngebein den Segen sprechen.

 

Denn Wahngebeine sind belebt und meinen,

sie hätten die Natur zur Welt geformt.

Nein! Unsre Welt hat die Natur genormt

zur Dienstbarkeit an diesen Wahngebeinen.

 

Sie töten wäre nicht verhältnismässig.

Sie sind zwar ärgerlich, doch schnell kaputt

und bald vergraben in ein bisschen Schutt.

Nur die Maschinen leben zuverlässig.

(2002)

 

[56]

Logenabend

 

Man denkt jetzt alles neu. Man singt

von neuer Haft in alten Ketten.

Man rühmt mit anderen Adretten

im Club das neue Baugelände,

das neues Kapital bedingt.

Nie lohnte es sich mehr, zu zahlen

und milder nie war eine Spende

als nach der gottgegebnen Wende.

Verwirrlich sind nur noch die Brände

der Alten, die das Feuer stahlen.

Wer sie besänftigt, dem gelingt,

die Welt zu retten durch ihr Ende.

Frisch, Logenbrüder, lasst uns wetten,

dass alte Haft in neuen Ketten

die Zukunft ohne Zukunft bringt.

(2001)

 

[57]

Hauptverlesen

 

Konturlos steht das Land im Ungefähren.

Die Wörter deuten hektisch kreuz und quer.

Die alten Widersprüche schweigen sehr.

Die Irren sind die letzten, die sich wehren.

Das Licht wirft keine Schatten mehr.

 

Das Unsichtbare ist in Blei gegossen.

Es füllt bis an den Rand den Sichtbereich.

Der abgesetzte Weltgeist ist verdrossen

und zwischen allen Zielen unentschlossen.

Drum sind ihm alle Träume gleich.

 

Sogar Ideen erhalten eine Rente

und leben jetzt privat. Das Vakuum

geht hin und her und blickt sich wissend um.

Es nickt im Kreis, als ob es alle kennte,

und alle stehn und nicken stumm.

(2001)

 

[58]

Am Ende der Geschichte

 

Der Wind geht selbstgemacht.

Die Meere plätschern als Kulissen.

Die Himmelskugel gilbt verschlissen.

Der Horizont versickert hingestreckt.

Das Kartenwerk liegt unbedacht.

Der Kompass steht auf Nacht:

Sie hat die Wege alle zugedeckt.

 

Das Schiff ist ohne Fahrt

und hängt die Fahne in den Grund.

Die Segel driften einwärts und

der Bug versinkt, der Rumpf beginnt zu lecken.

Am Hauptmast hoch wächst eine Art

verkropfter Gegenwart,

als wäre nie mehr etwas zu entdecken.

 

Skorbut im Kopf: Die Weiten

sind neu und leer und fährtenlos

und ohne unsre Träume gross.

Noch unsre Ideale sind verzweckt.

Nichts bleibt zu tun als abzugleiten

in Absichtslosigkeiten.

Wir haben keine neue Welt entdeckt.

(1996)

 

[59]

Umbaupause

 

Beamtete Kulissenschieber

schieben fleissig die vertrauten

potemkinschen Herrschaftsbauten

hierher oder dort hinüber

nach dem Willen der Regie.

Leidend an der Despotie

bellt des Königsmimen Miene

in die plaudernden Statisten,

die das Neue proben müssten,

Schicksal quer durch die Kantine.

 

Das nächste Schauspiel ist gekauft

und schon professionell verlogen

zur Utopie zurecht gebogen.

Die Helden werden umgetauft

und Regisseure eingeflogen.

 

Der Mensch braucht grosse Emotionen,

übt pflichtbewusst die Hilfssouffleuse,

Katharsis bannt im Volk das Böse,

drum muss den Widerspruch betonen,

wer ihn zum Schweigen bringen will.

Sponsoren lieben dieses Spiel,

die Welt dem Kunstwerk einschreiben,

das Zwang gebärend, ihn entzweischreit.

Man liebt die Kunstkulissenfreiheit,

damit die Galgen stehenbleiben.

(1992)

v11.5